O Welt, sieh hier dein Leben


O Welt, sieh hier dein Leben

am Stamm des Kreuzes schweben,

dein Heil sinkt in den Tod.

Der große Fürst der Ehren

läßt willig sich beschweren

mit Schlägen, Hohn und großem Spott.

 

Tritt her und schau mit Fleiße,

sein Leib ist ganz mit Schweiße

des Bluites überfüllt;

aus seinem edlen Herzen

vor unerschöpften Schmerzen

ein Seufzer nach dem andern quillt.

 

Wer hat dich so geschlagen,

mein Heil, und dich mit plagen

so übel zugericht?

Du bist ja nicht ein Sünder,

wie wir und unsre Kinder,

von Übeltaten weißt du nicht.

 

Ich, ich und meine Sünden,

die sich wie Körnlein finden

des Sandes an dem Meer,

die haben dir erreget

das Elend, das dich schläget,

und das betrübte Marterheer.

 

Du setzest dich zum Bürgen,

ja lässest dich erwürgen

für mich und meine Schuld;

mir lässest du dich kränen,

mit Dornen, die dich höhnen,

und leidest alles mit Geduld.

 

Ich bin, mein Heil, verbunden

all Augenblick und Stunden

dir überhoch und hehr;

was Leib und Seel vermögen,

das will ich dankbar legen

allzeit an deinen Dienst und Ehr.

 

Nun, ich kann nicht viel geben

in diesem armen Leben,

eins aber will ich tun:

es soll dein Tod und Leiden,

bis Leib und Seele scheiden,

mir stets in meinem Herzen ruhn.

 

Ich wills vor Augen setzen,

mich stets daran ergötzen,

ich sei auch, wo ich sei.

Es soll mir sein ein Spiegel

der Unschuld und ein Siegel

der Lieb und unverfälschten Treu.

 

Ich will darin erblicken,

wie ich mein Herz soll schmücken

mit stillem, sanftem Mut,

und wie ich die soll lieben,

die mich doch sehr betrüben

mit Werken, so die Bosheit tut.

 

Ich will ans Kreuz mich schlagen

mit dir und dem absagen,

was meinem Fleisch gefällt;

was deine Augen hassen,

das will ich fliehn und lassen,

gefiel es auch der ganzen Welt.

 

Dein Seufzen und dein Stöhnen

und die viel tausend Tränen,

die dir geflossen zu,

die sollen mich am Ende

in deinen Schoß und Hände

begleiten zu der ewgen Ruh.



(* 1607-03-12, † 1676-05-27)



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