Thränengrund


»Sangst Du immer nur von Thränen

Und von unbeglücktem Herzen,

Sind Dir denn nie Freuden worden,

Immer Qualen nur und Schmerzen?«

 

»Hast Du nie ein Herz gefunden,

Das geneigt, Dich zu verstehen?

Ist Dir nie von schönen Frauen,

Armer Sänger, Huld geschehen?«

 

»Oder hat ein andrer Kummer

Dir getrübt die Jugendtage?

Wie's wohl oft sich sonst ereignet,

Denn die Welt ist voller Plage!«

 

»»Nichts von allem, liebe Brüder!

Oben war der Himmel helle –

Unten grün die Flur und, dürstend,

Traf ich immer eine Quelle.««

 

»»Sterne hab' ich auch gefunden,

Die mich freundlich angeblicket,

Rosen und Jasminen haben

Oft geblendet und erquicket!««

 

»»So auch haben Lockenwellen

Niederströmend mich umspület,

Und ich hab' die goldnen Wogen

Wie ein Schwimmer oft durchwühlet.««

 

»»Nieder oft den Damm gerissen,

Der die reiche Fluth umschlossen,

Daß sie rings auf Schneegefilde,

Ueberschwemmend, sich ergossen.««

 

»»Augen, Lippen, Brust und Haare,

Aller Schönheit Zier und Krone,

War mir liebend Preis gegeben,

Mir gewährt zu süßem Lohne!««

 

»»Und es haben weiße Hände

Oft mir liebevoll geschmeichelt,

Und mit zärtlichem Behagen

Sanft die Wange mir gestreichelt.««

 

»Waffen hab' ich auch getragen;

In den edlen Sänger-Orden

Bin ich gleichfalls eingetreten,

Nirgends ist mir Schmach geworden.««

 

»»Bin der Erste nicht gewesen,

Und auch nicht der Letzte eben;

In der Mitte ging ich meistens,

Mocht' auch manchmal vorwärts streben.««

 

»»Manches, deß ich mich verwogen,

Könnt' ein Andrer nicht erreichen;

Oft auch mußt' ich, weit vom Ziele,

Wieder einem Stärkern weichen.««

 

»»Doch die Besten allerwege

Sahn mich gern in ihrem Kreise;

Konnt' ich's ihnen gleich nicht machen,

Liebten sie doch meine Weise!««

 

»Ei nun! – was Du hier erzählest,

Sänger, klingt ja nicht so schaurig;

Warum also so viel Thränen,

Warum sangst Du denn so traurig?«

 

»Frauen sind Dir hold gewesen,

Waffen hast Du auch geschwungen,

Männer mochten wohl Dich leiden,

Und manch Lied ist Dir gelungen?«

 

»Was denn hattest Du zu klagen,

Sprachst von Sehnen nur und Thränen,

Reimtest Herzen stets mit Schmerzen;

Niemand konnt' Dich glücklich wähnen!«

 

»»Schwer kann ich mir's selbst erklären,

Und doch hab' ich sie vergossen;

Sprach ich Euch von heißen Thränen,

Sind sie mir vom Aug' geflossen.««

 

»»Dieß ist ja das Glück der Jugend,

Daß sie ohne Grund kann weinen,

Und aus vollem Herzen lachen,

Bei den allerherbsten Peinen.««

 

»»Und Ihr wißt ja, lieben Freunde,

Dann ist stets die Saat gesegnet,

Wenn's im Mai, bei warmen Tagen,

Recht oft bei Gewittern regnet.««

 

»»Und stets wächst das Grün am schönsten

An der Brunnen frischen Quellen,

Und die Blumen blühn am vollsten

An den feuchten Wiesenstellen.«« –

 

»»Zwar bin ich nun Mann geworden,

Und ich sing' jetzt andre Lieder;

Doch der Mai auch ist vergangen,

Und die Jugend kehrt nicht wieder!««

 

»»Also triefen junge Bäume

Ueber gern von süßem Safte;

Doch er stockt zu dickem Harze

In dem rauhern, ältern Schafte.««



(* 1790-02-28, † 1862-03-16)



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