Gelähmter Flug


Fragt Ihr mich, warum allein

Fort ich ziehe meine Straße,

Fern von mir die Freunde lasse?

Während Jeder auf den Wellen

Lustig treibt, im Rosenschein

Seiner Jugend, ich den hellen

Spiegel der besonnten Fluth

Und die fröhlichen Gesellen

Traurig meide?

All' mein Muth

Still verglommen in herbem Leide –?

 

Seht! wie durch die Lüfte hin,

Weiß gefiedert, dichte Schwärme

Wandervögel nach der Wärme

Einer mildern Sonne ziehn!

Horch! wie ihrer Flügel Schläge

Ungebahnte Wolkenwege

Rasch durchschiffen, und Gesang

Tönt den ganzen Zug entlang!

 

Einen nur seht Ihr aus Allen

Einsam wallen

Durch den heitern Raum der Luft;

Mühsam folgt sein matter Flug

Nur von fern dem lauten Zug;

Ob ihn auch die Stimme ruft

Seiner eilenden Genossen,

Ach, – ihm ist die Brust durchschossen

Und ein Pfeil lähmt seine Kraft!

Wie er sich auch aufgerafft,

Sehnsucht ihn auch lockt nach Süden,

Nimmer zeigt dem Schmerzensmüden

Sich das warme Hoffnungsland.

Weit vor ihm dehnt sich das Meer,

Und, eh' er erreicht den Strand,

Schon von Todesgraun bezwungen

Sinket er,

Und ihn hat die Fluth verschlungen.

 

Seht! so traf auch meine Brust

Mir ein Pfeil. Die herbe Wunde

Blutet, zehrt am Lebensmark.

Ich, der wie der Stärkste stark,

Einst mit Frohen ging im Bunde,

Sichern Todes mir bewußt,

Einsam weil' ich nun zur Stunde!

Fern vom frischen Strom der Lust,

Berg' ich mich im tiefsten Schatten,

Bis die matten

Glieder mir, dem Lebenssatten,

Löst der Tod! – Die mir gesendet

Einst den Pfeil, mir schlug die Wunde,

Hoffe nicht, daß ich gesunde;

Bald, daß meine Qual geendet,

Komme ihr gefäll'ge Kunde! –



(* 1790-02-28, † 1862-03-16)



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