Die nächtliche Heerschau


Nachts um die zwölfte Stunde

Verläßt der Tambour sein Grab,

Macht mit der Trommel die Runde,

Geht emsig auf und ab.

 

Mit seinen entfleischten Armen

Rührt er die Schlägel zugleich,

Schlägt manchen guten Wirbel,

Reveill' und Zapfenstreich.

 

Die Trommel klinget seltsam,

Hat gar einen starken Ton:

Die alten, todten Soldaten

Erwachen im Grab davon.

 

Und die im tiefen Norden

Erstarrt in Schnee und Eis,

Und die in Welschland liegen,

Wo ihnen die Erde zu heiß;

 

Und die der Nilschlamm decket

Und der arabische Sand,

Sie steigen aus ihren Gräbern,

Sie nehmen's Gewehr zur Hand.

 

Und um die zwölfte Stunde

Verläßt der Trompeter sein Grab,

Und schmettert in die Trompete,

Und reitet auf und ab.

 

Da kommen auf lustigen Pferden

Die todten Reiter herbei,

Die blutigen alten Schwadronen

In Waffen mancherlei.

 

Es grinsen die weißen Schädel

Wohl unter dem Helm hervor,

Es halten die Knochenhände

Die langen Schwerter empor.

 

Und um die zwölfte Stunde

Verläßt der Feldherr sein Grab,

Kommt langsam hergeritten,

Umgeben von seinem Stab.

 

Er trägt ein kleines Hütchen,

Er trägt ein einfach Kleid,

Und einen kleinen Degen

Trägt er an seiner Seit'.

 

Der Mond mit gelbem Lichte

Erhellt den weiten Plan:

Der Mann im kleinen Hütchen

Sieht sich die Truppen an.

 

Die Reihen präsentiren

Und schultern das Gewehr,

Dann zieht mit klingendem Spiele

Vorüber das ganze Heer.

 

Die Marschäll' und Generale

Schließen um ihn einen Kreis:

Der Feldherr sagt dem Nächsten

In's Ohr ein Wörtlein leis'.

 

Das Wort geht in die Runde,

Klingt wieder fern und nah':

»Frankreich« ist die Parole,

Die Losung: »Sankt Helena!« –

 

Dieß ist die große Parade

Im elyseischen Feld,

Die um die zwölfte Stunde

Der todte Cäsar hält.



(* 1790-02-28, † 1862-03-16)



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