Die Mittelmässigen


Die Musik ist heutzutage

Wohl der Menschheit grösste Plage:

Schauervolles wird erreicht,

Wenn der Mensch die Geige streicht,

Oder um die Abendröthe

Zwecklos bläst auf einer Flöte.

Und ich hege die Vermutung,

Dass auch der Posaune Tutung

Manchem wohl bei Tag und Nacht

Keine grosse Freude macht.

Dieser schlägt mit viel Gebimbel

Grausamlich das Klavezimbel

Jener aber gnadenlos,

Kneift das Cello - Gott ist gross!

Seine Langmuth ist unendlich,

Treibt′s der Mensch auch noch so schändlich.

 

Andre wieder, wie wir wissen,

Sind der Poesie beflissen,

Kochen zu der Menschheit Schauer

Tag für Tag ihr Herz in Sauer,

Wandeln auf geblümter Au.

Viele Trauer-, Lust- und Schau-

Spiele fliessen zäh wie Leder

Aus der öden Dichterfeder,

Und es rinnt die trübe Fluth

Ohne Ende! - Gott ist gut,

Dass er solches lässt geschehn,

Ohne ins Gericht zu gehn!

 

Andre, zu der Menschheit Qualen,

Legen wieder sich aufs Malen

Und beschmieren ohne Ende

Viele schöne Leinewände

Und viel herrliches Papier,

Zum Erbarmen ist es schier! -

Wär′ mit Rosen und Kamillen

Ihre Schmierwuth nur zu stillen

Nein, sie wagen frech und wild

Sich an Gottes Ebenbild,

Und sie pinseln und sie kratzen

Süsslich, wabblich ihre Fratzen,

Dass die liebe Sonne weint,

Wenn sie solchen Schund bescheint.

Und so reiht sich Bild zu Bilde

Unermesslich! - Gott ist milde,

Denn er warf noch nie mit Feuer

Unter solche Ungeheuer!

 

Doch, wenn mal ein grosser Geist

Sich empor zum Himmel reisst

Und vom ew′gen Born der Klarheit

Nieder bringt das Licht der Wahrheit,

Muss man sehen diese Ekel,

Diese krummgebeinten Teckel

Wie sie ihn herunter reissen

Und ihn in die Waden beissen,

Denn sie schätzen jeder Frist

Nur, was ihres Gleichen ist!



(* 1842-06-25, † 1906-11-07)



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