Mykene


Habt Nachsicht, Manen des Aeschylos,

Vergebt mir, daß ich euch nachgestammelt.

 

Auf altersgrauer, halbverfallener

Cisterne Brüstung saß ein großer Geier

Regungslos.

Plötzlich schoß er hinab

Und eine Schlange fest in den Krallen,

Taucht' er im Nu wieder auf

Und schwang mit seiner Beute sich hinweg.

Sie wand und krümmte sich

In ihrer Haft und dunkel hoben

Die Ringelwindungen des langen Thiers

Vom lichtvoll blauen Himmelsgrund sich ab.

 

Und mit den Ringeln kamen mir

Die Schlangenhaarigen,

Die Erinnyen in den Sinn,

Und ich besann mich, wo ich war.

Mykene's Burgthor mit den Säulenhaltern,

Den Pantherthieren, stand

In Mittagssonnengluth

Mir gegenüber.

 

Und aus dem Thor seh' ich stürzen

Eine Gestalt,

Einen Jüngling, todbleich, mit stieren,

Weitaufgeriss'nen Augen,

Ein blutiges Schwert in der Hand,

Das er weitweg schleudert,

Und hinter ihm eine dunkle Meute,

Wie Hunde bellend, Fluchlied heulend

Gräßliche Weiber,

Riesengroße,

Blutblickende,

Schlangenlockige,

Fackelnschwingende,

Schlangenbündel wie Geißeln schwingende.

Sie peitschen los auf den Fliehenden,

Keuchenden, Athemlosen,

Hart an den Fersen ihm

Wie Tiger dem stöhnenden Edelhirsch.

 

Willst nicht auch du noch, lechzendes Pantherpaar,

Herunterfahren vom Marmorblock,

In Katzensprüngen, mit Katzenschrei

Dich zu dem wilden Hussa gesellen?

 

Hin und hinwegsaust

Ueber Stock und Stein

Die wüthende Hetzjagd,

Fern und ferner verhallt der Jagdlärm.

 

Wohin? Wohin entschwunden?

Dorthin, dorthin, zum Isthmus hin,

Fort über Berg und Thal,

Hin zu Parnassos' Berggeländen,

Hinauf, hinauf zu ihm,

Dem delphischen Apollon,

Zu ihm, der dich's geheißen,

Der es gesprochen:

Den Vater zu rächen, morde die Mutter! –

Todmatt, leichengleich

Seh' ich dich liegen am heil'gen Altar,

Seufzergebrochene Bitte stammelnd.

Entschlummert liegen die Schwarzen umher,

Ermüdet sie selbst von der rasenden Jagd.

Kurz ist die Frist nur, aus stygischer Pforte

Steigt der gemordeten Mutter Schatten

Und wecket und hetzet die Hetzerinnen

Von Neuem an's mitleidlose Geschäft.

Aber hervor wie ein Lichtstrahl tritt

Der Pythonsieger

Und mit Götterscheltwort,

Gewittersturzschmetterndem, scheucht er

Von seines Heiligthums reiner Schwelle

Die Töchter der Nacht,

Die Ausgeburten des Abgrunds.

Dich aber heißt er

Im Schutze des Götterboten,

Des Seelengeleitmanns,

Des füßebeflügelten Hermes

Wandern zur heiligen Burg hinüber,

Wo sie wohnet in Marmorhallen,

Die hehre Jungfrau,

Zeus' Tochter, Athene.

Richten, verheißet er, richten

Wird sie und schlichten.

 

Werdender Hoffnung glimmet ein Funken

In der Seele, der müdgehetzten,

Er rafft sich empor und wandert weiter.

Und Gesang vernimmt er,

Herniedertönend von heiligen Gipfeln,

Parnassosgipfeln,

Himmlische Weisen,

Dichterchöre begleitenden,

Ewigen Einklangs vollen,

Seligen Musengesang.

Zu Boden blickt er,

Auf seine Rechte blickt er,

Die blutbefleckte;

»Für mich nicht, für mich nicht!

Für mich das Geheul des Drachen,

Der da drüben hauset im nächtlichen Hohl,

Wie meine wildaufzuckende Seele

Wohnt in der dunkeln Kammer der Brust!«

 

Abwärts geht es, zur Rechten rauschet,

Durch zackige Schluchten die Gasse sich reißend,

Der Pleistos herauf und singt ihm

Zu den trüben Gedanken sein dumpfes Lied.

 

Und einen Schatten glaubt er zu sehen,

Voraus ihm schreitend gesenkten Hauptes,

Sinnend, brütend

Ueber ein dunkles Orakelwort.

O, er weiß, wer es ist,

Weiß, was der soll erfahren

Alsobald, drunten im Thal:

Nichtwissend wird er den Vater erschlagen.

 

Und hinter dem Mörder des Vaters

Geht bang und scheu

Und weinend doch um den Schicksalsbruder

Der Muttermörder.

 

--------------------------------------------------------------------------------

 

Greise sitzen auf heiligem

Hügel des Ares

An der Akropolis Abhang,

Silberbärtige,

Zu Richtern berufen

Von Pallas Athene.

 

Gesprochen haben

Die Klägerinnen, haben gefordert

Urrecht, hochheiliges,

Daß nicht straflos bleibe

Grauser Mord, Muttermord.

 

Gesprochen hat

Der hohe Anwalt, Latona's Sohn,

Hat gefordert

Urrecht, hochheiliges,

Daß nicht straflos bleibe

Grauser Mord, Gattenmord.

Und wäre die Strafe auch neue Schuld:

Er wolle, so sprach er,

Den Mann, der da handelt.

 

Und gesprochen hat

Nicht kläglichen Tones,

Aber stockend und arm an Worten

Der hoffende, bangende,

Rache erleidende

Rächer des Vaters.

 

Stumm sitzen die Greise,

Die Häupter wiegend in schwerem Sinnen.

Erfolgen soll Wahlspruch.

In eherner Urne sammelt der Aelteste

Das vernichtende Schuldig! in schwarzen Steinen,

In weißen das rettende Schuldfrei!

 

Er zählt und gleich ist die Zahl.

Erloschenen Blickes, erdfahl steht

Orestes im Kreise.

Lieber hinunter, so spricht sein Auge,

Hinunter zum Ahnherrn, zu Tantalos,

Als hängend schweben im Hohlen, im Leeren,

Gerichtet und nicht gerichtet,

Ein Schemen, ein Unding, lebendiges Nichts!

 

Rathlos starren die Richter in's Leere,

Grimmig blicken die nächtlichen,

Noch nicht satten Verfolgerinnen

Und murren und schütteln das Schlangenhaupt;

Todstill schweigen die Lüfte.

Er aber, der nie Beirrte,

Phöbos, der ewig Lichte,

Ruhig schaut er empor, und siehe!

Blitzgleich,

Wie sie aus Jovis Haupt hervorschoß,

Schwebt von der heiligen Burg hernieder

Sie selbst, des Gerichtes göttliche Gründerin,

Pallas Athene.

Schon steht sie inmitten des ernsten Kreises,

Gelassen steht sie, leicht hängt ihr am Arme

Der blinkende Schild und gesenkt ist die Spitze

Des oft gezückten furchtbaren Speers.

Sie tritt an die Urne und hebet die Rechte

Und zu den weißen gleitet ein weißer

Loosstein hinab und sie spricht die Worte:

Denn ich will nicht, daß krank und verstört

Bleib' eine Mannesseele,

Welche tauget und wirken kann,

Wär' sie auch schuldig und wär' auch

Weibes Leben ihr Opfer.

 

Nicht frohlocket Orestes.

Vor der Göttin beugt er die Kniee,

Legt auf die Brust die gekreuzten Arme

Und schaut hinauf in das himmlisch kühle,

Bläulich graue, leuchtende, große

Auge der Jungfrau,

Und sein Auge, das fieberschwüle,

In seine Höhle zurückgesunkene,

Mit dem erloschenen, trüben Blick,

Kläret sich langsam.

 

Heulend klagen die Rachegeister,

Aber zu ihnen spricht die Erhabne:

Rechtlos darum sollt ihr nicht sein,

Schuldstrafende Wesen!

Verehrung genießet, heilige Scheue!

Im nahen Hain, im schattigen, lieblichen,

Dort, wo geheimnißvoll

Ein Schlund klafft,

Dort im Schoße der Erde

Sei Nachtliebenden euch

Die Stätte bereit und Dienst des Altars

Und frommer Andacht jeglicher Zoll,

Der göttlichen Mächten gebühret.

Eumeniden, die Wohlgesinnten,

Die Gnädigen lasset fortan euch nennen.

Spüret die Schuld aus, strafet sie streng,

Nicht strenger und länger nicht,

Als sie verdient. Auch Fülle des Wohles

Auszuspenden ist euch gegeben,

Wo man euch ehrt und euer Walten;

Gönnt sie dem theuren attischen Lande!

 

Festlich geleitet zieh'n die Besänftigten

Hinweg nach der schauerumwehten Kluft.

Sie aber schwebt hinauf, empor,

Hin wo im heiteren Aetherlicht

Schimmert ihr heiliges Tempelhaus.

 

--------------------------------------------------------------------------------

 

Wie im Traume, so sah ich's,

An der alten Cisterne noch sitzend.

Auf stund ich, trat unter das Löwenthor,

Gieng vorwärts und sah mich um.

Aus Trümmerhaufen erwuchs nur

Der Atriden Palast.

 

Kostbare Teppiche, purpurne Tempelzier

Sind gebreitet vom Thor zu der Treppe.

Auf der obersten Stufe erscheint Klytämnestra.

Mit schönredendem Gruß empfängt sie

Den Völkerfürsten, Trojas Besieger,

Der gezogen kommt hoch zu Wagen,

Müde des Krieges, froh der ersehnten

Endlichen Heimkehr.

Er stutzet und scheut sich,

Zu betreten die Prachtgewebe,

Thronender Götter geheiligten Hausschmuck.

Doch weicht er der Bitte des falschen Weibes,

Steigt vom Wagen in dunkler Ahnung,

Schreitet dahin und hinauf und tritt

Ueber die Schwelle.

Ihm folget Kassandra, die Seherin,

Die Kriegsgefangne, geehret vom Sieger,

Tödtlich gehaßt von der scheelen Fürstin.

Nicht dunkel ahnend, hell wissend wohin,

Schicksal verkündend, Erfüllung des alten

Götterfluches, Rache durch Sohnes Hand,

Klaglos gefaßt

Tritt sie hinein in's gewisse Grab. –

 

Aufstöhnen hört man

Zweimal.

Stille wird's.

Heraus vor des Volkes Augen,

Des todesbangen,

Stolz aufgerichtet,

Die Mordaxt über der Schulter haltend,

Auf der Stirn einen Flecken Bluts,

Tritt sie, die Schlächterin,

Und rühmt sich der That.

 

Uralter Fluch ist's, der sich vollziehet,

Tantalos hat ihn geweckt, der Ahnherr,

Grausere That auf grause häufend

Haben Berge von Schuld gethürmt

Thyestes und Atreus

Und am Altar am Strande von Aulis

Hat Agamemnon, Atreus' Sohn,

Die Gattin täuschend das Kind geopfert.

Und empört in der Seele Tiefen

Hat sie Aegisthos sich ergeben,

Mit ihm des Gatten Mord beschossen

Und selber die blut'ge That vollführt.

 

Du Armer, du hast es getragen,

Dieses Gebirge von Schuld und Fluch,

Hast erfüllet im Muttermord,

Hast vollendet im gräßlichen Jagen,

Der Rachegeister gehetztes Wild,

Hast vollendet am bangen Gerichtstag

Den weitausschreitenden Schicksalsgang.

Aber entlastet, gesühnt, genesen

Durftest du lang noch und kräftig walten,

Herrschen in Ehren als Fürst Mykene's.

 

Wo sind sie, die Räume? Ein Trümmerhaufen.

Wo sind sie, die Gräber? Wo schläft Agamemnon?

Unter der Kuppel, die einsam dort,

Geheimnißvoll aus dem Schutte ragt?

Und er, der Dulder, der Letzte des Stammes,

Der Schicksalsvollender,

Wo er wohl ausruht?

Aber ein Etwas sprach mir im Herzen:

Frage nicht, suche nicht!

Die weite Welt

Ist seine Wiege und ist sein Grab.



(* 1807-06-30, † 1887-09-14)



Weitere gute Gedichte von Friedrich Theodor Vischer zum Lesen.