Gedenkfeier


am 2. September 1882.

 

Abendnebel spinnet und webet

Der stille Gebirgssee.

Heimkehrender Heerden Glockengeläute

Tönt nah und fern.

Frauen begegnen und grüßen in alter

Guter Sitte den Fremdling.

 

Einfalt wohnt noch in diesem grünen,

Heimlichen Thale,

Geborgen bin ich, geschützt vor der heißen

Hetze der Welt,

Fern ist der städtische Schwarm,

Nicht ertragen muß ich den Anblick

Bebrillten Dünkels,

Der sich nach Luft und Duft und Unschuld

Sehnet und sie verlacht und verderbt.

 

Männer auch kommen geschritten,

Nervig die nackten Kniee bewegend,

Breitschultrige, hochgewachs'ne,

Kraftgefühl in den off'nen, hellen

Augen und Muth und Kampflust,

Riesen von altem, echtem

Gothischem Stamme.

 

Horch, ein Windstoß!

Die Tannen rauschen,

der See wird laut,

Man hört ihn brausen, bewegter wallen

Ueber den Wogen die feuchten Nebel.

Wodan lebt noch und grüßet.

 

Hell wird's auf einmal, aufgetaucht

Hinter dem schroffen Felsenkamm

Leuchtet der Mond.

Brütend schimmert im Dunstgewebe

Sein Geisterlicht.

Mir ist, als hört' ich ein Flüstern dort

Im silbergrauen schwebenden Flor,

Ein Flüstern von Wasserfrauen,

Raunende Stimmen, die sich erzählen

Von fernen Schwestern an breiten Strömen,

Durch Rebenhügel und Gartengelände

Prächtig ergoss'nen, wo sie am Ufer

Auf Felsen sitzen, die goldnen Haare

Kämmen und singen, und von dem Volke,

Von den heitern und rasch bewegten

Geschlechtern, die dort hausen, –

Raunende Stimmen, die sich erzählen

Von fernen Schwestern, Nixen der See,

Der deutschen See, die an weißes Gestad,

An sagenumwobenes waldiges Eiland

Stürmisch in wilden Brandungen anschlägt,

Und von den Männern, die dort wohnen,

Von Nordlandsrecken, von Kerngewächse

Der Friesen und alten Sachsen.

 

Von Walküren auch raunen sie,

Helmgekrönten, ringelgepanzerten,

Beschwingten, auf blutdurchronnener Wahlstatt

Eilig befliss'nen.

Gethürmt sind Leichen, viel ist der Arbeit,

Siegreich gefallener Helden viel

Gilt es zu tragen hinauf nach Walhall.

 

Du hast sie gespürt, die vereinte Kraft,

Die wohlgeführte der Enkel des hehren

Theodorich und seines ergrauten

Waffenmeisters Hildebrand,

Des jähen Wolfhart und des getreuen,

Tapferen Spielmanns Volker,

Des grimmen, schuldigen, seinem Schicksal

Klaglos stehenden Hagen

Und des redlichen, tugendreichen

Jugendstrahlenden Siegfried, –

Hast sie gespürt, die vereinte Kraft,

Als sie dich enger und enger umschnürte,

Die unwiderstehliche wilde Jagd,

In den erstickenden Todesring

Drängend dich eintrieb,

Als die erschreckende Werwolflarve

Dir vom erblaßten Antlitz fiel,

Gespenstisches, welsches Scheinbild!

Als du hervorkrochst und vor der wahren

Steigenden Größe

Die gefallene hohle sank in's Knie.

 

Und in den Lüften über den Beiden

Schwebte ein Geist, unsichtbar sichtbar,

Sinnend, der Völker Schicksal wägend.

 

Heut ist der Tag. Still, einsam träumend

Wollt' ich ihn feiern.

 

Geistesriesen auch sind noch

Denkende Stirnen fehlen uns nicht,

Lichteste, feinste Gebilde der dunkeln

Urweltkraft in der Alpen Granitkorn,

In der Eichen und Föhren zähem Safte,

In des langsamen, derben, nicht schnell zürnenden,

Im Zorne furchtbaren Volkes

Eisenhaltigem Blute –

Geistesriesen, Staaten- und Schlachtenlenker,

Andere forschend in stiller Kammer,

Nach der Dinge geheimnisvollem Grund

Suchend und grabend mit Seherauge,

Andere zaubern Wundergestalten,

Unbekannte und doch bekannte,

Traumgewobene, von des Entzückens

Schauer umwehte Bilder des Lebens.

 

Mild wird die Luft. Die Stöße des Sturmwinds

Ruhen, ein weicher, lauer Hauch

Streichelt die Wangen des Thals

Und heißt mich gedenken all der Güte

Und all des Mitleids, all der herzlichen

Menschlichkeit,

Die der Gemüther verborg'nen Kern

Hinter der rauhen Schaale durchwärmt

Und schmeidigt und süßet.

Bist du es, der aus der silbernen,

Goldgesäumten Wolke mit blonden

Locken mir zunickt,

Bist du es, Balder,

Freundlicher, friedlicher, sanfter Gott,

Der Götter und Menschen Liebling?

Du bist's und bejahest.

 

Lustige Reigenweisen ertönen,

Hinter beleuchteten Fenstern dort

Huschen walzende Schatten vorüber,

Jauchzen erschallt und kräftiges Stampfen

Tritt zu dem Wirbel den messenden Takt.

Freuet euch! Heute bleib' ich fern,

Vom gestrigen Abend schwebt ein Bild

Mir vor den Augen jetzt und immer,

Als ich droben im ringsbeliebten

Stattlichen Hause des Wirths zum Steinbock

Dem Tanze zusah.

Und als die großgebaute, schlanke

Tochter des Bauern drüben am Bergjoch

Sterngleich unter den Dirnen glänzte,

Als sie am Arme des braunen Burschen

Mit leuchtenden Augen, lächelnden Lippen

So leicht und feurig und doch so züchtig

Sich drehte und wiegte und bog und neigte,

Als ihr die silbernen Kettchen am Halse

Schimmernd spielten und ich mich fragte:

Woher der Adel? Woher in der schlichten

Tochter des Volks die hohe Anmuth?

Da meint' ich blinken zu sehen

Der holden Freia Halsband,

Das ihr in unterirdischer Esse

Die klugen Zwerge geschmiedet,

Zaubersprüche zur Arbeit murmelnd,

Einzuverleiben dem Götterschmuck

Geheime Mitgift,

Allbesiegenden Liebesreiz. –

 

Bald muß ich hinab in's graue Reich

Der Hel und willig geh' ich.

Aber erfahren möcht' ich noch dürfen,

Wissen dort unten, was ist und wird

Da oben im Lichtreich,

Ob der Drache noch lebt und wüthet, –

Ich kenn' ihn und läugne mir nicht sein Gift –

Der schnöde Lindwurm,

Der, geheckt im Pfuhle der Zeit,

Herzverdorrenden Schwefelgluthqualm

Aushaucht über die Völker und, wehe!

Auch in die deutschen Markungen einbrach,

Ob in der Lebenden Mitte nicht

Aus der Tiefe sich etwas bewegt

Und rührt und regt und steigend anschwillt

Und zur lichten Gestalt sich bildet

Und gewappnet hervorspringt,

In der Hand ein blitzendes Geisterschwert,

Und den scheußlichen Wurm durchbohrt,

Der Drachentödter aus Vorwelttagen,

Der Ahne Siegfried, –

Ob mein geliebtes Volk geneset,

Blühet und wächst und ob wir Alten

Nicht vergeblich gerungen.



(* 1807-06-30, † 1887-09-14)



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