Parabeln und Rätsel


1.

Von Perlen baut sich eine Brücke

Hoch über einen grauen See;

Sie baut sich auf im Augenblicke,

Und schwindelnd steigt sie in die Höh.

Der höchsten Schiffe höchste Masten

Ziehn unter ihrem Bogen hin,

Sie selber trug noch keine Lasten

Und scheint, wie du ihr nahst, zu fliehn.

 

Sie wird erst mit dem Strom, und schwindet,

So wie des Wassers Flut versiegt.

So sprich, wo sich die Brücke findet,

Und wer sie künstlich hat gefügt?

 

2.

Es führt dich meilenweit von dannen

Und bleibt doch stets an seinem Ort,

Es hat nicht Flügel auszuspannen,

Und trägt dich durch die Lüfte fort.

Es ist die allerschnellste Fähre,

Die jemals einen Wandrer trug,

Und durch das größte aller Meere

Trägt es dich mit Gedankenflug;

Ihm ist ein Augenblick genug!

 

3.

Auf einer großen Weide gehen

Viel tausend Schafe silberweiß;

Wie wir sie heute wandeln sehen,

Sah sie der allerältste Greis.

 

Sie altern nie und trinken Leben

Aus einem unerschöpften Born,

Ein Hirt ist ihnen zugegeben

Mit schön gebognem Silberhorn.

 

Er treibt sie aus zu goldnen Toren,

Er überzählt sie jede Nacht,

Er überzählt der Lämmer keins verloren,

So oft er auch den Weg vollbracht.

 

Ein treuer Hund hilft sie ihm leiten,

Ein muntrer Widder geht voran.

Die Herde, kannst du sie mir deuten,

Und auch den Hirten zeig mir an!

 

4.

Es steht ein groß geräumig Haus

Auf unsichtbaren Säulen;

Es misst′s und geht′s kein Wandrer aus,

Und keiner darf drin weilen.

Nach einem unbegriffnen Plan

Ist es mit Kunst gezimmert;

Es steckt sich selbst die Lampe an,

Die es mit Pracht durchschimmert.

Es hat ein Dach, kristallenrein,

Von einem einz′gen Edelstein;

Doch noch kein Auge schaute

Den Meister, der es baute.

 

5.

Zwei Eimer sieht man ab und auf

In einem Brunnen steigen,

Und schwebt der eine voll herauf,

Muss sich der andre neigen.

Sie wandern rastlos hin und her,

Abwechselnd voll und wieder leer,

Und bringst du diesen an den Mund,

Hängt jener in dem tiefsten Grund;

Nie können sie mit ihren Gaben

In gleichem Augenblick dich laben.

 

6.

Kennst du das Bild auf zartem Grunde?

Es gibt sich selber Licht und Glanz.

Ein andres ist′s zu jeder Stunde,

Und immer ist es frisch und ganz.

Im engsten Raum ist′s ausgeführet,

Der kleinste Rahmen fasst es ein;

Doch alle Größe, die dich rühret,

Kennst du durch dieses Bild allein.

 

Und kannst du den Kristall mir nennen?

Ihm gleicht an Wert kein Edelstein;

Er leuchtet, ohne je zu brennen,

Das ganze Weltall saugt er ein.

Der Himmel selbst ist abgemalet

In seinem wundervollen Ring,

Und doch ist, was er von sich strahlet,

Noch schöner, als was er empfing.

 

7.

Ein Gebäude steht da von uralten Zeiten,

Es ist kein Tempel, es ist kein Haus,

Ein Reiter kann hundert Tage reiten,

Er umwandert es nicht, er reitet′s nicht aus.

 

Jahrhunderte sind vorüber geflogen,

Es trotzte der Zeit und der Stürme Heer;

Frei steht es unter dem himmlischen Bogen.

Es reicht in die Wolken, es netzt sich im Meer.

 

Nicht eitle Prahlsucht hat es getürmet,

Es dienet zum Heil, es rettet und schirmet;

Seines Gleichen ist nicht auf Erden bekannt,

Und doch ist′s ein Werk von Menschenhand.

 

8.

Unter allen Schlangen ist eine

Auf Erden nicht gezeugt,

Mit der an Schnelle keine,

An Wut sich keine vergleicht.

 

Sie stürzt mit furchtbarer Stimme

Auf ihren Raub sich los,

Vertilgt in einem Grimme

Den Reiter und sein Ross.

 

Sie liebt die höchsten Spitzen;

Nicht Schloss, nicht Riegel kann

Vor ihrem Anfall schützen;

Der Harnisch - lockt sie an.

 

Sie bricht, wie dünne Halmen,

Den stärksten Baum entzwei;

Sie kann das Erz zermalmen,

Wie dicht und fest es sei.

 

Und dieses Ungeheuer

Hat zwei Mal nie gedroht -

Es stirbt im eignen Feuer:

Wie′s tötet, ist es tot!

 

9.

Wir stammen, unsrer sechs Geschwister,

Von einem wundersamen Paar,

Die Mutter ewig ernst und düster,

Der Vater fröhlich immerdar.

 

Von beiden erbten wir die Tugend,

Von ihr die Milde, von ihm den Glanz;

So drehn wir uns in ew′ger Jugend

Um dich herum im Zirkeltanz.

 

Gern meiden wir die schwarzen Höhlen,

Und leiben uns den heitern Tag;

Wir sind es, die die Welt beseelen

Mit unsers Lebens Zauberschlag.

 

Wir sind des Frühlings lust′ge Boten

Und führen seinen muntern Reihn;

Drum fliehen wir das Haus der Toten,

Denn um uns her muss Leben sein.

 

Uns mag kein Glücklicher entbehren,

Wir sind dabei, wo man sich freut,

Und lässt der Kaiser sich verehren,

Wir leihen ihm die Herrlichkeit.

 

10.

Wie heißt das Ding, das Wen′ge schätzen?

Doch ziert′s des größten Kaisers Hand;

Es ist gemacht, um zu verletzen,

Am nächsten ist′s dem Schwert verwandt.

 

Kein Blut vergießt′s und macht doch tausend Wunden,

Niemand beraubt′s und macht doch reich;

Es hat den Erdkreis überwunden,

Es macht das Leben sanft und gleich.

 

Die größten Reiche hat′s gegründet,

Die ält′sten Städte hat′s erbaut;

Doch niemals hat es Krieg entzündet,

Und Heil dem Volk, das ihm vertraut!

 

11.

Ich wohn′ in einem steinernen Haus,

Da lieg′ ich verborgen und schlafe;

Doch ich trete hervor, ich eile heraus,

Gefodert mit eisernern Waffe.

Erst bin ich unscheinbar und schwach und klein,

Mich kann dein Atem bezwingen,

Ein Regentropfen schon saugt mich ein;

Doch mir wachsen im Siege die Schwingen.

Wenn die mächtige Schwester sich zu mir gesellt,

Erwachs′ ich zum furchtbarn Gebieter der Welt.

 

12.

Ich drehe mich auf einer Scheibe,

Ich wandle ohne Rast und Ruh.

Klein ist das Feld, das ich umschreibe,

Du deckst es mit zwei Händen zu -

Doch brauch′ ich viele tausend Meilen,

Bis ich das kleine Feld durchzogen,

Flieg′ ich gleich fort mit Sturmes Eilen

Und schneller als der Pfeil vom Bogen.

 

13.

Ein Vogel ist es, und an Schnelle

Buhlt es mit eines Adlers Flug;

Ein Fisch ist′s und zerteilt die Welle,

Die noch kein größres Untier trug;

Ein Elefant ist′s, welcher Türme

Auf seinem schweren Rücken trägt;

Der Spinnen kriechendem Gewürme

Gleicht es, wenn es die Füße regt;

Und hat es fest sich eingebissen,

Mit seinem spitz′gen Eisenzahn,

So steht′s gleichwie auf festen Füßen

Und trotzt dem wütenden Orkan.



(* 1759-11-10, † 1805-05-09)



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Kommentare


  • Aandres
    Wie heißt das Ding, das Wen´ge schätzen,
    Doch ziert´s des größten Kaisers Hand,
    Es ist gemacht, um zu verletzen,
    Am nächsten ist´s dem Schwert verwandt.

    Kein Blut vergießt s und macht doch tausend Wunden,
    Niemand beraubt’s und macht doch reich,
    Es hat den Erdkreis überwunden,
    Es macht das Leben sanft und gleich.

    Die größten Reiche hat´s gegründet,
    Die ältsten Städte hat´s erbaut,
    Doch niemals hat es Krieg entzündet,
    Und Heil dem Volk, das ihm vertraut.

    Fremdling, kannst du das Ding nicht raten,
    So weich aus diesen blühenden Staaten!

    (Friedrich von Schiller)