Die Gunst des Augenblicks


Und so finden wir uns wieder

In dem heitern bunten Reihn,

Und es soll der Kranz der Lieder

Frisch und grün geflochtne sein.

 

Aber wem der Götter bringen

Wir des Liedes ersten Zoll?

Ihm vor allen lasst uns singen,

Der die Freude schaffen soll.

 

Denn was frommt es, dass mit Leben

Ceres den Altar geschmückt?

Dass den Purpursaft der Reben

Bacchus in die Schale drückt?

 

Zuckt vom Himmel nicht der Funken,

Der den Herd in Flammen setzt:

Ist der Geist nicht freudetrunken,

Und das Herz bleibt umergötzt.

 

Aus den Wolken muss es fallen,

Aus der Götter Schoß das Glück,

Und der mächtigste von allen

Herrschern ist der Augenblick.

 

Von dem allerersten Werden

Der unendlichen Natur,

Alles Göttliche auf Erden

Ist ein Lichtgedanke nur.

 

Langsam in dem Lauf der Horen

Fuget sich der Stein zum Stein:

Schnell, wie es der Geist geboren,

Will das Werk empfunden sein.

 

Wie im hellen Sonnenblicke

Sich ein Farbenteppich webt,

Wie auf ihrer bunten Brücke

Iris durch den Himmel schwebt,

 

So ist jede schöne Gabe

Flüchtig wie des Blitzes Schein;

Schnell in ihrem düstern Grabe

Schließt die Nacht sie wieder ein.



(* 1759-11-10, † 1805-05-09)



Weitere gute Gedichte von Friedrich Schiller zum Lesen.