Ein Geburtstag auf der Reise


Wie wird mir so beklommen,

Obgleich ich ruhig schlief!

Wär′ heut der Tag gekommen,

Der mich ins Leben rief?

Ja, sagt mir der Kalender,

Ein Strauß des Freundes auch,

Den der zu milde Spender

Mir flocht am Lorbeerstrauch.

 

Ach, was sind das für Boten!

Wo bleiben Weib und Kind,

Die sonst, zum Liebesknoten

Verschränkt die Ersten sind!

Heran, heran, wie immer,

Du teures, teures Paar,

Sonst wage ich mich nimmer

Hinein ins neue Jahr.

 

Daß ich noch Atem hole,

Verdank′ ich euch allein,

Denn ihr seid meine Pole

Und werdet′s ewig sein!

Wie sollt′ ich wohl noch ringen,

Wär′s nicht des Vaters Pflicht?

Und könnt′ es mir gelingen,

Stärkte dies Weib mich nicht?

 

Drum schnell, ich muß euch schauen,

Christine, an mein Herz,

Du innigste der Frauen,

Eh′ es erstarrt vor Schmerz.

Und daß ich zwiefach nippe,

Reich′ auch dein Kind zum Kuß,

Das meiner bärt′ge Lippe

Nur naht, wenn′s eben muß.

 

Sie zögern noch! Ermannung!

Sie sind dir heut zu fern!

Du lebst in der Verbannung,

Doch nicht von Stern zu Stern!

Du ward′st auf eine Weile

Dem Paradies entrückt,

Damit es, dir zum Heile,

Bald doppelt dich beglückt.

 

Nun wohl, ich will es tragen,

Bin ich auch Duldens satt;

Ich ward zurück verschlagen

In eine finstre Stadt,

Wo ich, der Welt verborgen,

Bestand den ersten Streit,

Drum werde dieser Morgen

Der Pilgerschaft geweiht.

 

Es ist die rechte Stunde,

Ein Schlachtfeld zu beschaun,

Ich mache flugs die Runde

Und tu′ es ohne Graun,

Als wären′s schon Äonen,

Wo ich hier, stumm, doch bang,

Mit jedem der Dämonen

Auf Tod und Leben rang.

 

Drum erst zum kleinen Hause,

Das mich beherbergt hat!

In dieser dunklen Klause

Reift′ ich zur Dichtertat,

Viel litt ich da im stillen,

Viel hat′s in mir geschafft:

Von Gott den reinen Willen,

Vom Teufel jede Kraft.

 

Vorüber doch, vorüber!

Mir wird in meinem Sinn

Auf einmal trüb und trüber,

Nun ich zur Stelle bin.

Mir deucht, durch dieses Fenster

Grinst noch der ganze Chor

Der Larven und Gespenster,

Die mich gequält, hervor.

 

Dafür zum Königsgarten

Mit raschem Schritt hinab!

Er war′s, der dem Erstarrten

Stets wieder Leben gab,

Der, wenn mich eine Mahnung

Der Todes tief geschreckt,

Mich gleich durch eine Ahnung

Der Zukunft neu geweckt.

 

O Park, sei mir gesegnet!

Bleib ewig frisch und grün,

Und wenn′s nur einmal regnet,

So sollst du zweimal blühn!

In jeden deiner Gänge

Verlier′ ich mich mit Lust,

Denn jeder hat Gesänge

Gehaucht in meine Brust.

 

Hier zeigte, wie im Traume,

Sich mir die Judith schon!

Dort, unterm Tannenbaume

Sah ich den Tischlersohn,

Da drüben winkte leise

Mir Genovevas Hand,

Und in des Weihers Kreise

Fand ich den Diamant.

 

Dann wollt′ es mich bedünken,

Ich sei unendlich reich!

Mein Busen war dem Blinken

Des Sternenhimmels gleich:

Schon viel sind aufgegangen

In wandelloser Pracht,

Mehr glaubt man noch umfangen

Vom stillen Schoß der Nacht.

 

Zwar blieben′s damals Schemen,

Mir nur zum Trost geschickt,

Sie mußten Abschied nehmen,

Sowie ich sie erblickt.

Das fügte tausend Schmerzen

Den schwersten noch hinzu,

Doch kam zuletzt dem Herzen

Durch sie allein die Ruh.

 

Denn als sie Blut getrunken,

Wie des Odysseus Schar

Im Hades, deren Funken

Längst still verglommen war:

Da wandelten die Schatten

Sich in Gestalten schnell,

Und nun sie Leben hatten,

Ward′s rings um mich auch hell.

 

So will′s ja der Berater

Der Welt, daß in der Kunst

Das Kind den eignen Vater

Erlöst vom irdschen Dunst

Und für die heil′ge Schüssel

Voll Bluts, die er vergießt,

Ihm dankt mit einem Schlüssel,

Der ihm das All erschließt.



(* 1813-03-18, † 1863-12-13)



Weitere gute Gedichte von Friedrich Hebbel zum Lesen.