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Das Geisterross


Durch den dreigeteilten Bogen,

Des Triumphes prangend Tor,

Durch die lauten Menschenwogen

Dort zum Kapitol empor

Lenkt den Tanz der weissen Pferde

Cäsars lässige Gebärde.

 

Hinter des Triumphes Wagen

Duldend oder grollend gehn

Überwundne. Ketten tragen

Cäsars lebende Trophän.

"Dieser!" höhnt es im Gedränge,

"Dieser Trotzge!" zischt die Menge.

 

Unberührt vom Hohn der Stunde

Starren, traumgefüllten Blicks

Geht, ein Singen auf dem Munde

Ruhig Vercingetorix -

Fremde Weise, fremde Worte

Mit dem Geist an fremdem Orte:

 

"Cäsar, blendend weisse Rosse

Hat Hispanien dir gebracht!

Ellid, edler Ahnen Sprosse

Dunkel ist er wie die Nacht -

Deine Schimmel, deine viere

Tauscht ich nicht mit meinem Tiere ...

 

Ellid heisst der wackre Jager,

Stark von Wuchs und fest im Bug,

Welcher mich ins Römerlager

Mit gewaltgen Sprüngen trug ...

Der zum Opfer ich gegeben

Mich für meines Volkes Leben!

 

Dreimal flog ich um im Kreise,

In der Faust des Schwertes Blitz,

Noch im Lauf, nach Gallier Weise,

Sprang ich ab vor Cäsars Sitz ...

Schwarzer Ellid, zu den Toten

Send ich dich als meinen Boten!

 

Wie er mir ins Antlitz schnaubte,

Stiess ich, Blick versenkt in Blick,

Hinter seinem mächtgen Haupte

Stracks das Schwert ihm durchs Genick ...

Dass mir eines Rosses Ehre

Mangle nicht im Geisterheere.

 

Ellid sprengt seit langen Jahren

Mitten in der bleichen Jagd,

Wann daheim die Toten fahren

Durch die Wälder, bis es tagt ...

Sehn sie meinen ledgen Renner,

Wundern sich die stillen Männer ...

 

Lange Jahre lag gebunden

Ich in feuchter Kerkergruft

- Kettenschwere, dumpfe Stunden -

Endlich wieder Tag und Luft -

Ellid, schwarzer Ellid, spute

Dich! Du witterst, wo ich blute!

 

Heute endlich! Endlich heute!

Wann der Kahle schwelgt am Mahl,

Würgt er seine Siegesbeute.

Mit dem letzten müden Strahl,

Wann die Sonne niedergleitet,

Wird mir Block und Beil bereitet.

 

Henker, nimm das Beil zu Händen!

Nicht das Beil? ... So nimm den Strang!

Drossle mich! Nur enden, enden!

Letzte Schmach! Sie währt nicht lang ...

Ellids kurzes Hufgestampfe

Dröhnt in meinem Todeskampfe!

 

Sterbend pack ich Ellids Haare,

Ein Befreiter spring ich auf,

Fahre, schwarzer Ellid, fahre!

Nach der Heimat nimm den Lauf!

Wogen tosen! Rhodans Stimme!

In den Strom, mein Tier, und schwimme!"

 

Cäsars Schimmel blähn die Nüstern.

"Ave Triumphator!" schallt.

Des Gebundnen Lippen flüstern:

"In der Heimat bin ich bald!

Ellid mit gestrecktem Jagen

Wird mich nach der Heimat tragen!"



(* 11.10.1825, † 28.11.1898)




Bewertung:
4/5 bei 6 Stimmen

Kommentare

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  • Gravatar von Tanja
    Tanja | tanjakrause4@freenet.de
    vor rund 1,5 Jahren

    Jagen heisst ganz einfach man reitet oder läuft schnell. Gestrecktem jagen ist hier eingesetzt für gestrecktem galopp. Reimt sich sonst nicht, probiers mal. Ausserdem muss man bedenken das auch anders gesprochen wurde, ich würde es mal lautmalerisch interpretieren.

  • Gravatar von sam
    sam | caf.samuel@gmail.com
    vor rund 2 Jahren

    Es gibt zwei Stellen, die ich nicht versteh.

    1. "Der zum Opfer ich gegeben Mich für meines Volkes Leben "
    Hört sich irgendwie grammatisch seltsam an. Wie ist das gemeint?

    2. " Ellid mit gestrecktem Jagen"
    Was heißt hier Jagen?

    Könnte mir das bitte jemand erklären? Wär super sweet
    Danke

  • Gravatar von Elisabeth Engelmeyer
    Elisabeth Engelmeyer | hildegard_e@yahoo.de
    vor rund 2,5 Jahren

    Wir haben dieses Gedicht in der Waldorfschule während der 1960er Jahre gemeinsam im Chor mit unserem Klassenlehrer Marcus Bäuerle auswendig gelernt. Ich kann es noch heute auswendig. Es hat bei mir einen starken, emotionalen Bezug zur germanischen Geschichte und zu einem Bewußtsein des Zusammenhangs zwischen Führung und moralischer Verantwortlichkeit bewirkt. < >Elisabeth Engelmeyer

  • Gravatar von Johanna mauser-loret
    Johanna mauser-loret | j-mauser@gmx.de
    vor rund 3 Jahren

    Wogen tosen Rodans Stimme, -wirst Du mich in die Heimat bringen?