Grüße


Steigt mir in diesem fremden Lande

Die altbekannte Nacht empor,

Klatscht es wie Hufesschlag vom Strande,

Rollt sich die Dämmerung hervor

Gleich Staubeswolken mir entgegen

Von meinem lieben starken Nord,

Und fühl′ ich meine Locken regen

Der Luft geheimnisvolles Wort:

 

Dann ist es mir, als hör′ ich reiten

Und klirren und entgegenziehn

Mein Vaterland von allen Seiten,

Und seine Küsse fühl′ ich glühn;

Dann wird des Windes leises Munkeln

Mir zu verworrnen Stimmen bald,

Und jede schwache Form im Dunkeln

Zur tiefvertrautesten Gestalt.

 

Und meine Arme muß ich strecken,

Muß Küsse, Küsse hauchen aus,

Wie sie die Leiber könnten wecken,

Die modernden im grünen Haus;

Muß jeden Waldeswipfel grüßen

Und jede Heid′ und jeden Bach,

Und alle Tropfen, die da fließen,

Und jedes Hälmchen, das noch wach.

 

Du Vaterhaus mit deinen Türmen,

Vom stillen Weiher eingewiegt,

Wo ich in meines Lebens Stürmen

So oft erlegen und gesiegt, -

Ihr breiten laubgewölbten Hallen,

Die jung und fröhlich mich gesehn,

Wo ewig meine Seufzer wallen

Und meines Fußes Spuren stehn!

 

Du feuchter Wind von meinen Heiden,

Der wie verschämte Klage weint, -

Du Sonnenstrahl, der so bescheiden

Auf ihre Kräuter niederscheint, -

Ihr Gleise, die mich fortgetragen,

Ihr Augen, die mir nachgeblinkt,

Ihr Herzen, die mir nachgeschlagen,

Ihr Hände, die mir nachgewinkt!

 

Und Grüße, Grüße, Dach, wo nimmer

Die treuste Seele mein vergißt

Und jetzt bei ihres Lämpchens Schimmer

Für mich den Abendsegen liest,

Wo bei des Hahnes erstem Krähen

Sie matt die graue Wimper streicht

Und einmal noch vor Schlafengehen

An mein verlaßnes Lager schleicht!

 

Ich möcht′ euch alle an mich schließen,

Ich fühl′ euch alle um mich her,

Ich möchte mich in euch ergießen

Gleich siechem Bache in das Meer;

O wüßtet ihr, wie krankgerötet,

Wie fieberhaft ein Äther brennt,

Wo keine Seele für uns betet

Und keiner unsre Toten kennt!



(* 1797-01-12, † 1848-05-24)



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