Der brave Unterthan


Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da kam eine Fliege und kitzelt ihn,

Daß er mußt′s Gesicht verziehn:

»Fliege, laß′ das Kitzeln!«

Die Fliege kitzelt weiter.

 

Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da flog eine Wesp′ ihm auf die Nas′,

Und stach ihm eine große Blas′,

»Wespe, laß′ das Stechen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen.

 

Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da sprang ein Floh ihm auf die Brust;

Und peinigt ihn nach Herzenslust:

»Floh, laß′ mich zufrieden!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker.

 

Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da kam ein großer Hund daher,

Der biß in′s Bein ihm gar zu sehr:

»Hund, du läßt das Beißen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker,

Der Hund, der beißt gewaltig.

 

Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da kroch ein Egel ihm aufs Herz,

Und sog ihm Blut zu großem Schmerz.

»Egel, laß′ das Saugen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker,

Der Hund, der beißt gewaltig,

Der Egel saugt am Herzen.

 

Ein Deutscher saß im grünen Gras,

Und wollte da studiren was,

Lateinisch und auch griechisch

Und etwas philosophisch.

Da stieß ein Ochs ihm vor den Kopf,

»Ochse, laß′ das Stoßen!«

Die Fliege kitzelt weiter,

Die Wespe sticht ihm Blasen,

Der Floh, der peinigt stärker,

Der Hund, der beißt gewaltig,

Der Egel saugt am Herzen,

Der Ochs stößt vor den Kopf ihm.

 

Zuletzt ist er gestorben nun,

Um von den Qualen auszuruhn,

Da sah′ ich auf dem Denkmal stahn:

»Das war ein braver Unterthan.

Die Fliege thät ihn kitzeln,

Die Wespe thät ihn stechen,

Der Floh hat ihn gepeinigt,

Der Hund hat ihn gebißen,

Der Egel sog ihm′s Blut aus,

Der Ochse thät ihn stoßen:

Es that ihn Nichts erboßen.«



(* 1810-03-27, † 1876-10-25)



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