Das Gesicht der Natur


Was unsern Sinn gefangen hält,

Das spiegelt uns zurück die Welt.

Wir schauen unsre Lust und Pein

In′s Antliz der Natur hinein,

Als wechsle Sonnenschein und Regen

Am Himmel einzig unsertwegen,

Als würd′ er blauer oder grauer

Um unsre Lust, um unsre Trauer.

Er schmeichelt uns, der stolze Wahn,

Daß auf der ewig festen Bahn

Nach uns, den kleinen Erdenwichten,

Die Schritte der Natur sich richten.

Sie schreitet weiter, kalt und groß,

Wie taub und blind für unser Loos;

Sie treibt vollkommen unbekümmert

Was unser Glück erhöht, zertrümmert;

Ihr Mitgefühl ist unsre Lüge,

Ihr Antliz trägt Medusenzüge

Die, seelenlos so schön sie scheinen,

Nie weder lächeln weder weinen.



(* 1819-02-08, † 1904-06-25)



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