Priamus und Achilles


(Januar 1823)

 

An des Idas dunkeln Höhen

Hängt des Mondes stille Pracht,

Und es rauschet in dem Tale

Nur der Xanthus durch die Nacht.

Alle Flammen sind erloschen,

Und es ruht der Griechen Heer -

Einsam nur im stillen Zelte

Sitzt Achilleus tränenschwer.

 

Ausgetobt hat seine Rache,

Sehnsucht schwellt die Heldenbrust

Nach den Manen seines Freundes,

Seiner Jugend hoher Lust.

Nach der Dioskuren Sterne

Sendet er den trüben Blick,

Nur das Traumbild ihrer Liebe

Sendet das Gestirn zurück.

 

Ob der Schatten sich begnüge,

Daß des tapfern Feindes Blut,

Von dem Rächerstahl vergossen,

Färbte des Skamanders Flut,

Daß der Held am Siegerwagen

Dreimal durch die bange Flur

Hinzog seines Feindes Leiche

In der blutbespritzten Spur?

 

Und so sinnt er, und so schaut ihn

Nur der Fackel trüber Schein,

Da rauscht auf des Zeltes Decke -

Schwebt ein Schatten zu ihm ein?

Groß ist die Gestalt zu schauen,

Wenn gebeugt auch, hoch und hehr,

Milde Silberlocken wallen

Um ein Greisenantlitz her.

 

Sprachlos mißt Achill die Züge,

Diese Züge ernst und mild,

Ob sein Aug ihm täuschend lüge?

Ist es Priams Heldenbild?

Eh die Frag entflieht der Lippe,

Ist der Greis ihm zugewandt,

Schaut ihm weinend in das Auge,

Faßt ihn flehend an der Hand.

 

»Denke nicht des Krieges Lose,

Der die Völker blutig trennt,

Denke nur des Vaters Schmerzen,

Der nur seine Lieben kennt.

Hier ist Gold, o nimm die Gaben,

Gib mir meinen Sohn zurück,

Daß noch einmal auf ihm weile

Seines Vaters trüber Blick.

 

Wende nicht so stolz die Blicke,

Laß mir, laß mir deine Hand!

Welche Namen muß ich rufen?

Kennst du nicht das zarte Band,

Das die Gattin eint dem Gatten,

Das das Kind dem Vater eint?

Ach! Andromache harrt unser

Und sein Astyanax weint.

 

Bei der Liebe deines Vaters -

Sind nicht seine Haare weiß

Wie der Greis, der zu dir flehet;

Harret nicht der edle Greis

Der Umarmung seines Sohnes,

Eh er zu den Vätern geht?

Bei der Liebe deines Vaters

Höre, was ein Vater fleht!«

 

Und das Auge geht ihm über

Von unnennbar tiefem Schmerz,

Und es dringt des Greisen Klage

Durch des Panzers rauhes Erz.

»Du vergibst, Patroklos′ Schatten,

Wenn des Freundes Herz erliegt -

Nimm den Sohn, zieh hin im Frieden,



(* 1802-11-29, † 1827-11-18)



Weitere gute Gedichte von Wilhelm Hauff zum Lesen.