Sicilianische Lieder (9) - Die Frauen


Lasset Schul′ und Katheder und Beichtstuhl, Kanzel und Hörsaal,

Bücher und Bibliothek, laßt sie und höret mich an.

Eifrer der Frömmigkeit, euch preis′ ich Siciliens Frauen;

Denn ein herrlich Geschlecht schmücket Trinakrien noch.

Fremden gefällig, von lüsternem Geist, von feurigen Sinnen,

Wer vermöcht′ euch darum, Töchter von Zankle, zu schmähn?

Zarte Kinder, von blondem Gelock, blauglänzenden Augen

Bietet Catania dir, bietet die freundliche dar.

Zwar kaum hatte den goldenen West, den reinen, die erste

Abendröthe mit Gluth über dem Hybla gefärbt:

Sieh, und es zeigt vom Balkon ein Liebchen mir schon Arethusa,

Und Ortygia dünkt längst mir die Heimath zu sein.

Doch nicht wüßt′ ich darum Syrakusas Töchter zu preisen,

Denn mit der Quelle gefolgt sind sie dem niederen Dienst.

Frisches Blut und kräft′ge Natur und edle Gesundheit,

Unverdorbene Zucht, fern der Verführung der Welt

Findest am Aetna du, wo Indiens Feig′ und die Rebe,

Wo Orang′ und Granat glückliche Städte bedeckt.

Oder im fernen Buscemi, im pinienumgrünten Piazza,

Oder auf luftigem Fels, auf dem gigantischen dort,

Wo mit Dianen einst Proserpina Veilchen gepflücket

Und Aphrodite selbst heilige Keuschheit bewahrt;

Oder auf Trapanis Berg, nur daß die blühenden Reize

Neidisch der Schleier dem Blick hier, der arab′sche, bedeckt.

Dennoch aber der Preis der hohen Königin sei er,

Mutter der schönsten Frau′n, dir, o Palermo, geweiht.

Denn wie du selbst die erhabenste bist der Städte, wie üppig

Berg und Hügel und Thal Flora mit Blüthen bedeckt,

Hat die Natur, die mit Palmen dich schmückt und Aloe, der Menschheit

Zärteste Blumen auch euch, reizende Frauen, geliebt.

Hört′s, o Eifrer, an Süßigkeit gleicht Palermos Orangen

Kein′, und Palermos Geschlecht gleicht in Trinakrien keins.

Nun zu Schul′ und Katheder, zu Beichtstuhl, Kanzel und Hörsaal,

Bücher und Bibliothek kehret mir wieder zurück.

Nennet euch tugendhaft und schmähet mich fort, doch die Strafe

Giebt sich selber wer nie menschliche Liebe gefühlt.



(* 1804-11-21, † 1830-01-17)



Weitere gute Gedichte von Wilhelm Friedrich Waiblinger zum Lesen.