An die Mißgünstigen unter den Künstlern


1.

 

Er ist ein Künstler? - »Ein Maler! « - In Rom gewesen? - »Versteht sich!«

Ist es möglich? - »Ja wohl, sehen Sie, hier ist mein Paß.«

 

2.

 

Lorbeer wollt′ ich von euch? O ihr irrt, denn ihr, meine Freunde,

Seid ja der Feigenbaum, den der Erlöser verflucht.

 

3.

 

Ihr seid Künstler? Ihr malt und meißelt! Doch seid ihr es darum?

Straßenpflaster ist doch immer Mosaik noch nicht.

 

4.

 

Ihr karikiret mich schlecht! Hut, Strümpfe, Hosen und Schuhe

Habt ihr getroffen, doch längst legt′ ich sie alle hinweg.

 

5.

 

Stechend seid ihr zum Staunen, so wie die römischen Wanzen,

Deren stinkendes Volk nächtlich dem Lager entkriecht.

 

6.

 

Man zernichtet euch nicht? Davor behüt′ uns der Himmel,

Wenn man die Wanze zerquetscht, stinkt sie entsetzlicher noch.

 

7.

 

Wie die Mücken sind manche von euch, so hungrig und dummdreist,

Wo ihr ein Licht nur bemerkt, brennt ihr die Flügel euch an.

 

8.

 

Jeder sagt mir, der andre malt schlecht, der andr′ ist ein Stümper!

Aber wem glaub′ ich denn wohl? Jedem, vergebt es dem Lai′n!

 

9.

 

Bleibt vom römischen Forum hinweg, vom Felde der Stiere,

Warum malet ihr sie? Besser, ihr spanntet sie an!

 

10.

 

Nur sechs Wochen in Rom? Da konnt′ er ja kaum sich ein Urtheil

Bilden - »Possen, o das hab′ ich schon vorher gefällt.«

 

11.

 

Als das Scherbengericht den gerechten Athener verdammte,

Kam auch ein ärmlicher Wicht zu Aristides und sprach:

Schreibe mir doch auf die Scherbe: verbannt, ich weiß nicht zu schreiben,

Und es verdrießet mich doch, daß so gerecht man ihn nennt.

Vieles lehrt die Geschichte, die Mutter jeglicher Weisheit;

Deutet, mir dünkt es nicht schwer, dieses Histörchen auf euch.



(* 1804-11-21, † 1830-01-17)



Weitere gute Gedichte von Wilhelm Friedrich Waiblinger zum Lesen.