An die Berge von Latium


Könnt′ ich mit Worten, könnt′ ich mit Thaten auch,

Die euer würdig, zeigen, wie dieses Herz

Euch liebt, ihr ewig theuren Berge,

Blumige Kette vom Fuß des Cavo,

 

Bis wo ihr sanft liebäugelt mit finsterern

Sabinernachbarn über die Thäler weg,

Mit euren lind geschwungnen Hügeln,

Heimath des Frühlings, des nie verblüh′nden!

 

Wenn ich so still und doch so der Schmerzen voll

Um Roma′s Mauern wandle, wenn mich der Drang

Ins weite warme Feld hinaustreibt,

Wo mir der Spuren von alter Größe

 

So viel begegnet; wenn ich der Appia

Vermorschte Römergräber durchwandere,

Wenn ich die Königin von Janus

Seligen Hainen mit Einem Blicke

 

Frei überschau′, wie lächelt ihr da mir zu,

Und lockt mich an, als wäret ihr Mutter mir,

Als hätt′ ich mich aus eurem Schooße

Noch als ein Kind in die Welt verloren.

 

Seit eure kühlungschattenden Wälder mich

In ihre Fülle nahmen, und eure Stirn,

Die weinbekränzte, so unendlich

Mir das tyrrhenische Meer entfaltet,

 

Seit in dreitausendjährigen Städten dort

In wilden Massen süßer Gebüsch′, im Duft

Der Veilchen ich die schöne Last des

Maulthiers, die reizenden Frauen, zieh′n sah,

 

Seitdem verwehte jede Erinnerung

An andre Berg′, ihr seid mir so heiß geliebt,

Daß ich mich selbst vom Capitole

Frevelnd in euer Elysium sehne.

 

Was ihr auch bergt an eurer Dianenbrust,

Holdsel′ge Gärten schöpfrischer Fruchtbarkeit,

Was ihr in Thälern, Höh′n und Ufern

Himmlisches hegt, vor dem Auge steht mir′s

 

Endlos. Vor allem du, mein Albano, bist

Dem sanft verjüngten Herzen die schöne Welt,

Die es verlor, bist seine Kindheit,

Bist dem Verlassenen die Geliebte.

 

O klare Augen ihr meines Latiums,

Du See von Nemi, du mein Albanersee,

Wie lauter strahlet eure Seele

Sehnsucht und Liebe zu eurem Himmel!

 

Jungfräulich hat die Mutter Natur euch schon

Bekränzt mit nie verwelkendem Blüthenreiz,

Die Dichter der Natur, die frohen

Vögel, sie jubeln schon euer Brautlied.

 

Und du Ariccia, Tochter Siculia′s,

Die du dein wollustschmachtendes Angesicht

Mit deiner Haine Zaubernacht der

Glühenden Sonne verschämt bedeckest!

 

Du Stadt der Cynthia, himmlisch umwaldete

Genzano, wo dem Wand′rer zum erstenmal

An grüner Berge Schattenwand der

Spiegel Dianens emporgeduftet!

 

Du Nemi, wo der taurischen Artemis

In Latiums Vorzeit dunkel ein Hain geblüht,

Du uralt heilig Kind von Troja,

Stadt der Lavinia, wo das Auge

 

Hinüberschweift zum bläulichen Vorgebirg

Der Circe, wo in schaudernder Seele mir,

Gleich einem Traumgesicht, des Meeres

Abgrund homerische Welt entstiegen,

 

Und du, Gandolfo, Grotta ferrata du

Mit deines Klosters sinniger Einsamkeit,

Du Adlernest am Felsen hängend,

Rocca di Papa mit deinen Wundern,

 

Ihr alle Frascatanische Gärten, wo

Das Aug′ aus überschwellender Ueppigkeit,

Aus Tusculums erhab′nen Trümmern

Trunken hinüber zum sonn′gen Rom blickt,

 

Das, einer Milchstraß′ ähnlich, die farbige

Campagna hin sich lagert voll Majestät,

So groß und ewig, wie das Meer, das

Drüber die schattige Erd′ umarmet.

 

Ihr lebt in meinem Herzen, und wenn ihr mich

Dereinst gelehrt, unsterblich zu sein, o dann

Lebt ihr unendlich drin, dann nehm′ ich

Selbst zu den Himmlischen euch hinüber.



(* 1804-11-21, † 1830-01-17)



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