Einer Toten


1

 

Du glaubtest nicht an frohe Tage mehr,

Verjährtes Leid ließ nimmer dich genesen;

Die Mutterfreude war für dich zu schwer,

Das Leben war dir gar zu hart gewesen. -

 

Er saß bei dir in letzter Liebespflicht;

Noch eine Nacht, noch eine war gegeben!

Auch die verrann; dann kam das Morgenlicht.

»Mein guter Mann, wie gerne wollt ich leben!«

 

Er hörte still die sanften Worte an,

Wie sie sein Ohr in bangen Pausen trafen:

»Sorg für das Kind - ich sterbe, süßer Mann.«

Dann halb verständlich noch: »Nun will ich schlafen.«

 

Und dann nichts mehr; - du wurdest nimmer wach,

Dein Auge brach, die Welt ward immer trüber;

Der Atem Gottes wehte durchs Gemach,

Dein Kind schrie auf, und dann warst du hinüber.

 

2

 

Das aber kann ich nicht ertragen,

Daß so wie sonst die Sonne lacht;

Daß wie in deinen Lebenstagen

Die Uhren gehn, die Glocken schlagen,

Einförmig wechseln Tag und Nacht;

 

Daß, wenn des Tages Lichter schwanden,

Wie sonst der Abend uns vereint;

Und daß, wo sonst dein Stuhl gestanden,

Schon andre ihre Plätze fanden,

Und nichts dich zu vermissen scheint;

 

Indessen von den Gitterstäben

Die Mondesstreifen schmal und karg

In deine Gruft hinunterweben

Und mit gespenstig trübem Leben

Hinwandeln über deinen Sarg.



(* 1817-09-14, † 1888-07-04)



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