Schwarzburg


In sich gehüllt, umkränzt von grünen Hügeln,

leis' angewebt von milder Schwermut Flügeln,

ruht dort das Tal in stiller Dämmerung.

Ein kühler Luftstrom wallt mir sanft entgegen,

und der Begeist'rung süße Schauer regen

des Herzens Saitenspiel mit leisem Schwung.

 

Hier lege, was ihm Menschen aufgedrungen,

des Vorurteils erträumte Forderungen,

der frohe Wand'rer ehrerbietig ab,

und geh' allein, sich selbst zurückgegeben,

der Wahrheit und Natur mit reinem Sinn zu leben,

ein freier Mensch mit seinem Pilgerstab.

 

O du, Natur! wie strebt in deinem Reiche,

voll ew'ger Harmonie, der Grashalm und die Eiche

in ihrer Kraft mit gleichem Recht empor,

und alles lebt und wirkt mit fröhlichem Beginnen,

und aus der Freiheit Götterschale rinnen

Glückseligkeit und Ruhe mild hervor!

 

Und nur der Mensch, von außen und von innen

bestürmt, geengt, wünscht mit entflammten Sinnen,

was ihn aus deinem stillen Kreise zieht,

und gibt des Herzens süße Trunkenheiten,

des Selbstgefühls, der Freiheit Seligkeiten,

für ein erkünstelt Glück, das bald ihn flieht!

 

Wie schwebt der Blick die Höhen auf und nieder,

und kehrt, getränkt mit süßen Bildern, wieder,

und neue Ahnung schwellt das trunkne Herz!

Es fühlt den hohen Reiz mit leisem Beben,

so still und groß, so voll von Glut und Leben,

und ringt mit Lust und wunderbarem Schmerz,

 

Was für ein süßer, weicher Wohllaut säuselt

zu mir empor! Sieh', über Kiesel kräuselt

ein Bach sich hin mit sanfter Melodie:

bald rauscht er fort gewaltig, wie auf Flügeln

des Sturmes; bald, geküßt von grünen Hügeln,

klagt er der Sehnsucht leise Harmonie.

 

Wie ist mit einemmal von einem rauhen

Gebirg', das sich vermessen in die blauen

Gewölbe drängt, der Eingang mir entrückt!

Und durch den grünen waldigen Kolossen

scheint, wie durch Feenhand, der Ausweg mir verschlossen,

der heimlich sich um einen Felsen drückt.

 

Dort schwimmen, wie mit Flammen übergossen

im Sonnenschein, von Azurblau umflossen,

von süßen Düften freundlich überwallt,

die jungen Büsche sanft den Hügel nieder,

und Fels und Hain tönt vom Gesange wider,

der lieblich durch die zarten Zweige hallt.

 

Dicht nebenan, gehüllt in finstre Trauer,

stürzt leis' durchweht vom kühlen Abendschauer,

ein Fichtenwald den steilen Berg hinab,

und seitwärts blickt, umweht von Ulm und Flieder,

ein dunkler Fels aus jäher Höh' hernieder,

bedeutungsvoll und schweigend wie das Grab.

 

Bald, wo der Blick an hohen Wänden scheitert,

von keinem Blümchen, keinem Baum erheitert,

drängt eine Klippe unsern Pfad hinweg;

wir klimmen fort an schroffen Felsenwänden:

der Abendsonne letzte Strahlen senden

noch mildes Licht auf den zerriß'nen Steg.

 

Und immer tiefer taucht in graue Düfte

der Himmel sich, und über stille Klüfte

webt leise sich der Dämm'rung trüber Flor.

Verworren schweben jetzt Erinnerungen

der Seele vor, von Schwermut sanft bezwungen,

und Bilder steigen wunderbar empor.

 

Es flattert dort um jene düstre Schatten

die Phantasie, und auf betauten Matten

schafft eine Hütte sich die Träumerin;

auf jenen Stein, wo hohe Buchen trauern,

den feuchte Lüftchen wehmutsvoll umschauern,

dort zaubert sie ein fühlend Wesen hin,

 

Das unbemerkt, allein mit Moos und Steinen,

des müden Herzens Wunden zu beweinen,

die feindlich ihm ein strenges Schicksal schlug,

und, eingewiegt in freie Träumereien,

sich sehnsuchtsvoll hier der Natur zu weihen,

sein Leid in diese schöne Wildnis trug;

 

Bis endlich sich die dunklen Farben mildern,

und mit der Hoffnung sanft verklärten Bildern

die rasche Zeit den stillen Schmerz ereilt;

dann einst von Harmonie herbei gewinket,

ein holdes Wesen stumm an seinen Busen sinket,

das seine Menschenflucht versteht und teilt;

 

Das zarte Sympathie mit ihm verbindet,

das ohne Worte seine Seele findet,

durch kalte Weisheit nicht den edlen Schmerz entehrt;

bis sanft durch schönes Mitgefühl erheitert,

sich seines Lebens düstre Bahn erheitert,

und neuer Mut im Busen wiederkehrt.

 

Der Schimmer stirbt, die Sterne blinken nieder,

der Nachtwind weht mit tauigem Gefieder,

und tiefe Ruhe wohnt im Fichtenhain:

verworren quellen nun aus leichten Schatten

der Bäume Formen weich hervor, und gatten

sich lieblicher im bleichen Mondenschein.

 

Wir sind am Ziel! Dem müden Wandrer winket

ein mondbeglänztes Dörfchen, und er sinket

mit leichterm Mut auf weichen Rasen hin,

und um ihn duften lieblicher die Linden,

singt lieblicher der Quell, und unvermerkt entschwinden

der Schwermut Bilder dem befreiten Sinn.

 

Tief atmet er die Lust, den stillen Frieden,

der hier ihm winkt, er fühlt sich abgeschieden

von jedem Weh: der Blumen Hauch, die Luft

weh'n freundlicher. Er sieht in muntern Reihen,

ein glücklich Volk sich lautem Jubel weihen,

und folgt dem Trieb', der ihn zur Freude ruft.

 

Verhältnisse sind hinter ihm versunken.

Wie schlägt sein Herz von neuem Leben trunken!

wie fließt sein Blut so heiter wie der Quell!

Er glaubt beherzt mit heiligem Vertrauen

an Lieb' und Freundschaft, wallt auf Blumenauen,

und, o! wie wird die Zukunft ihm so hell!

 

Und immer leiser schwebt in lusterfüllten Räumen

die Phantasie, und unter leichten Träumen

verweht die kurze mondbeglänzte Nacht.

Schon schauert durch den Hain ein neues Feuer,

schon spielt die Luft im jungen Laube freier,

schon ist mit mildem Glanz der Tag erwacht.

 

Hinauf! dort wo der jungen Sonne Strahlen

mit Himmelsglanz des Vogels Schwingen malen,

erwacht die Phantasie mit neuem Schwung.

Wir steigen fröhlich durch betaute Matten

den Tannenwald hinan, wo Sonnenlicht und Schatten

zusammenschmilzt in süße Dämmerung.

 

Wie schwimmt in seinem lichten Farbenkranze,

von Sonnenschein umspielt, im Ätherglanze

der schöne Grund vor meinem trunk'nen Blick!

Mit der Natur in hohem Einklang fühlet

das rege Herz, von neuer Lust durchwühlet,

und ahnet der Begeistrung nahes Glück.

 

Die reinste Luft, geschöpft aus Ätherquellen,

umsäuselt mich; auf ihren leichten Wellen

wallt die entzückte Seele himmelan.

Wie wogt im Glanz der jungen Morgensonne

ein Meer von neuer Lebenskraft und Wonne

durch meine Brust, ein Freudenozean!

 

Hinab! ich will mir selbst die Banden kürzen.

In diesen Himmel mich hinabzustürzen,

in dieser Glut zu sterben, Götterglück!

Ich seh' die leichten Schranken niederfallen,

mich aufgelös't im reinen Äther wallen,

und Gottheit liegt in diesem Augenblick!



(* 1770-03-27, † 1806-10-31)



Weitere gute Gedichte von Sophie Friederike Brentano zum Lesen.