Das grosse Kind


Da fliegt er hin, der stolze Knabe,

Rasch trägt sein Rößlein ihn vom Ort;

Dem ich mich ganz ergeben habe,

Mein süßer Schatz, schon ist er fort!

Die Stunde schlug, von meinem Herzen

Riß er sich zögernd, riß sich los,

Und lächelnd bald und bald mit Schmerzen

Sprach er: "Ade, ′s ist Mannesloos!"

 

O Mannesloos, o Traum der Ehre,

Von Männern allzuhoch geschätzt!

Ich wollt′, daß er ein Kindlein wäre,

Und mein Geliebter doch wie jetzt;

Auf meinem Schoß wollt′ ich ihn wiegen

Mit süßem Tändeln, warm und lind,

In meinen Armen sollt′ er liegen,

Mein großes, mein verliebtes Kind.

 

Ei ja, das wären süße Sorgen,

Das wäre liebe Mutterlust!

Wohl jeden Abend, jeden Morgen

Hielt′ ich ihn fest an meiner Brust;

Mit meinem Kuß wollt′ ich ihn tränken,

Nach dem er sonst so durstig war,

Und wollte ihm zum Spielwerk schenken

Mein aufgelöstes schwarzes Haar.

 

Ich würd′ ein Märchen ihm erzählen

Von dem verirrten Königssohn,

Der, sich der Hirtin zu vermählen,

Das Reich vergessen und den Thron;

Mir in die Augen würd′ er sehen

Mit hellen Blicken stolz und groß,

Und würde lächelnd mich verstehen,

Und risse dennoch sich nicht los!



(* 1816-05-30, † 1872-06-21)



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