Unsre Stunde


Es dunkelt schon. Komm, geh nach Haus.

Komm! das Kastanien-Blattgewühl

streckt sich wie Krallen nach uns aus.

Es ist zu einsam hier, zu schwül

für uns.

 

Denn sieh: die Linien deiner Hand

laufen den meinen viel zu gleich.

Du schienst mir plötzlich so verwandt,

so vorbekannt;

vielleicht aus einem andern Reich.

 

Ich hatt ′ne Schwester, die ist tot.

Sei nicht so stumm, als wärst du taub!

Die Abendwolke dampft so rot

durchs junge Laub,

als ob sie uns Blutschande droht.

 

Horch! Ja, so wild und unverwandt,

wie jetzt die Nachtigall da schlug,

zittert dein Herz in meiner Hand.

Wir wissen es; das ist genug

für uns.



(* 1863-11-18, † 1920-02-08)



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