Drückende Luft


Der Himmel dunkelte noch immer;

ich fühlte tief bis in mein Zimmer

der fahlen Wolken vollen Schoß.

Die Esche drüben drehte schwer

die hohe Krone um sich her;

zwei Blätter trieben wirbelnd los.

 

Laut tickte durch die schwüle Stube,

wie durch die stille Totengrube

der Holzwurm ticken mag, die Uhr.

Und durch die Türe hinter mir

klang dünn und schüchtern ein Klavier

über den Flur.

 

Der Himmel lastete wie Schiefer;

ihr Spiel klang immer trauertiefer,

ich sah sie wohl.

Dumpf rang der Wind im Eschenlaub,

die Luft war grau von Glut und Staub

und seufzte hohl.

 

Und blasser tönten durch die Wände

die tastenden verweinten Hände,

sie saß und sang;

sang sich das Lied, in sich gebückt,

mit dem sie mich als Braut entzückt;

ich fühlte, wie ihr Atem rang.

 

Die Wolken wurden immer dumpfer,

die wunden Töne immer stumpfer,

wie Messer stumpf, wie Messer spitz;

und aus dem alten Liebeslied

klagten zwei Kinderstimmen mit -

da fiel der erste Blitz.



(* 1863-11-18, † 1920-02-08)



Weitere gute Gedichte von Richard Dehmel zum Lesen.