Sieben Gedichte


I

 

Auf einmal fasst die Rosenpflückerin

die volle Knospe seines Lebensgliedes,

und an dem Schreck des Unterschiedes

schwinden die [linden] Gärten in ihr hin

 

II

 

Du hast mir, Sommer, der du plötzlich bist,

zum jähen Baum den Samen aufgezogen.

(Innen Geräumige, fühl in dir den Bogen

der Nacht, in der er mündig ist.)

Nun hob er sich und wächst zum Firmament,

ein Spiegelbild das neben Bäumen steht.

O stürz ihn, dass er, umgedreht

in deinen Schoß, den Gegen-Himmel kennt,

in den er wirklich bäumt und wirklich ragt.

Gewagte Landschaft, wie sie Seherinnen

in Kugeln schauen. Jenes Innen

in das das Draußensein der Sterne jagt.

[Dort tagt der Tod, der draußen nächtig scheint.

Und dort sind alle, welche waren,

mit allen Künftigen vereint

und Scharen scharen sich um Scharen

wie es der Engel meint.]

 

III

 

Mit unsern Blicken schließen wir den Kreis,

dass weiß in ihm wirre Spannung schmölze.

Schon richtet dein unwissendes Geheiß

die Säule auf in meinem Schamgehölze.

 

Von dir gestiftet steht des Gottes Bild

am leisen Kreuzweg unter meinem Kleide;

mein ganzer Körper heißt nach ihm. Wir beide

sind wie ein Gau darin sein Zauber gilt.

 

Doch Hain zu sein und Himmel um die Herme

das ist an dir. Gieb nach. Damit

der freie Gott inmitten seiner Schwärme

aus der entzückt zerstörten Säule tritt.

 

IV

 

Schwindende, du kennst die Türme nicht.

Doch nun sollst du einen Turm gewahren

mit dem wunderbaren

Raum in dir. Verschließ dein Angesicht.

Aufgerichtet hast du ihn

ahnungslos mit Blick und Wink und Wendung.

Plötzlich starrt er von Vollendung,

und ich, Seliger, darf ihn beziehn.

Ach wie bin ich eng darin.

Schmeichle mir, zur Kuppel auszutreten:

um in deine weichen Nächte hin

mit dem Schwung schoßblendender Raketen

mehr Gefühl zu schleudern, als ich bin.

 

V

 

Wie hat uns der zu weite Raum verdünnt.

Plötzlich besinnen sich die Überflüsse.

Nun sickert durch das stille Sieb der Küsse

des bittren Wesens Alsem und Absynth.

 

Was sind wir viel, aus meinem Körper hebt

ein neuer Baum die überfüllte Krone

und ragt nach dir: denn sieh, was ist er ohne

den Sommer, der in deinem Schoße schwebt.

Bist du′s bin ich′s, den wir so sehr beglücken?

Wer sagt es, da wir schwinden. Vielleicht steht

im Zimmer eine Säule aus Entzücken,

die Wölbung trägt und langsamer vergeht.

 

VI

 

Wem sind wir nah? Dem Tode oder dem,

was noch nicht ist? Was wäre Lehm an Lehm,

formte der Gott nicht fühlend die Figur,

die zwischen uns erwächst. Begreife nur:

das ist mein Körper, welcher aufersteht.

Nun hilf ihm leise aus dem heißen Grabe

in jenen Himmel, den ich in dir habe:

daß kühn aus ihm das Überleben geht.

Du junger Ort der tiefen Himmelfahrt.

Du dunkle Luft voll sommerlicher Pollen.

Wenn ihre tausend Geister in dir tollen,

wird meine steife Leiche wieder zart.

 

VII

 

Wie rief ich dich. Das sind die stummen Rufe,

die in mir süß geworden sind.

Nun stoß ich in dich Stufe ein um Stufe

und heiter steigt mein Samen wie ein Kind.

Du Urgebirg der Lust: auf einmal springt

er atemlos zu deinem innern Grate.

O gieb dich hin, zu fühlen wie er nahte;

denn du wirst stürzen, wenn er oben winkt.

 



(* 1875-12-04, † 1926-12-29)



Weitere gute Gedichte von Rainer Maria Rilke zum Lesen.