Der Mond ist aufgegangen


Der Mond ist aufgegangen,

die goldnen Sternlein prangen

am Himmel hell und klar;

der Wald steht schwarz und schweiget,

und aus den Wiesen steiget

der weiße Nebel wunderbar.

 

Wie ist die Welt so stille

und in der Dämmrung Hülle

so traulich und so holt

als eine stille Kammer,

wo ihr des Tages Jammer

verschlafen und vergessen sollt.

 

Seht ihr den Mond dort stehen?

Er ist nur halb zu sehen

und ist doch rund und schön.

So sind wohl manche Sachen,

die wir getrost belachen,

weil unsre Augen sie nicht sehn.

 

Wir stolze Menschenkinder

sind eitel arme Sünder

und wissen gar nicht viel;

wir spinnen Luftgespinste

und suchen viele Künste

und kommen weiter von dem Ziel.

 

Gott, laß dein Heil uns schauen,

auf nichts Vergänglichs bauen,

nicht Eitelkeit uns freun;

laß uns einfältig werden

und vor dir hier auf Erden

wie Kinder fromm und fröhlich sein.

 

Wollst endlich sonder Grämen

aus dieser Welt uns nehmen

durch einen sanften Tod;

und wenn du uns genommen,

laß uns in Himmel kommen,

du unser Herr und unser Gott.

 

So legt euch denn, ihr Brüder,

in Gottes Namen nieder;

kalt ist der Abendhauch.

Verschon uns, Gott, mit Strafen

und laß uns ruhig schlafen

und unsern kranken Nachbar auch.



(* 1740-08-15, † 1815-01-21)



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