Die verstoßene Seele


Lange Zeiten waren hingegangen ..

einförmig in weiten stillen Triften,

wo im Lichte eines bleichen Mondes

keiner Blume Kelch sich öffnen mochte,

keiner Quelle muntrer Sang ertönte,

keiner Morgenröte festlich Leuchten

frohe Stunden kündete, da wohnte

mit Gefährten stumm und düstern Sinnes

eine Seele.

Unbemakelt glänzte

ihr Gefieder, nur ein kleines Fleckchen,

nah dem Herzen, schimmerte noch dunkel.

Dieses Fleckchen war ihr Schmerz, ihr Kummer;

war es fort, dann durfte sie zum Heiland,

zu den Freunden, die ganz weiß und herrlich

goldne Harfen rührten, ihm zum Preise.

Und die Seele warf sich hin und flehte:

»Christus, Gott der Milde, neig dein Ohr mir

und erhöre meine heiße Bitte.

Leihe mir der Menschen Form und Antlitz,

daß ich durch ein neues reines Leben

jenen Fleck von meinem Herzen tilge«.

Und der Herr vernahm den Wunsch der Seele.

»Magst du jenen Dornenweg durchwandeln;

suche Eltern dir und geh zur Erde«.

Selig breitete die kleinen Flügel

nach der Erde aus die frohe Seele.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Schlank und wonnig, alle Welt bezaubernd,

angebetet von dem jungen Gatten,

blühte eine Frau in Spaniens Hauptstadt.

eines Morgens, als sie tändelnd spielte

vor dem goldnen Spiegel, sich berauschte

an der eignen Schönheit, pochte schüchtern

an ihr Herz ein heimlich fragend Stimmchen:

»Möchtest du, o Frau, mit deiner Holdheit

Überfluß ein kleines Seelchen kleiden,

Form ihm geben, Form von deinen Formen?

O dir blieb genug noch, dich zu freuen

an der Gnadenschönheit deines Leibes«.

Tief errötend fuhr die junge Frau auf,

raufte sich das Haar in heißem Abscheu:

»Wie, ich sollte als die Ältre weichen

einem neuen Stern, der mich als Nahrung

seines Glanzes nur benützte? Nimmer!

Eher töt ich mich mit eignen Händen«.

Und das Seelchen flog bestürzt von dannen,

kam zu einem hagern, ernsten Weibe,

das vertieft in einen Folianten

brütend dasaß. »Holtest du nicht lieber,

statt aus alten Blättern, aus den Augen

deines Kindes letzte Weisheit dir?

»Welcher thörichte Gedankensprung!«

Mürrisch fuhr die Frau sich übers Antlitz.

»Was wohl aus den Schätzen werden möchte,

die ich einst der Welt zu geben hoffe,

müßt ich »Huckepack« und »kochen« spielen?

Lieber als zur Kindsmagd mich erniedern,

lieber - Gift verschläng ich auf der Stelle«.

Traurig schlich das kleine Seelchen weiter,

ratlos. Wo, wo lag die milde Herberg,

wo das Herz, das sich ihm aufschloß?

Tannen

dufteten mit süßem Atem würzig

in das stille Zimmer, dessen Boden

schwere Teppiche bedeckten. Flüsternd

gingen leise Diener, Ärzte, Zofen,

aus und ein. Am Sopha lag, in Spitzen

halb verborgen eine blasse Dame,

und verhüllte weinend sich das Antlitz.

»Dieses Leben! Nichts als Schmerzen, Schmerzen.

Eben zerrt die Vene da, die Nerven

zappeln wieder, in den Schläfen brennt es ...«

Ungeduldig schleudert sie die Decke

von sich ab.

 

»O möchtest du nicht, Liebe,

statt so unablässig zu belauschen

deiner Pulse leiseste Bewegung,

wachen über eine kleine, junge

Menschenpflanze, die aus dir erblüht ist?«

»Ich ein Kind? Ha, schon das bloße Denken,

daß ich einem Kind das Leben schenkte,

macht mich krank, ich, die so Zarte, Schwache,

nein, ein Selbstmord wärs, ein frevler Selbstmord,

lieber wahnsinnig, als Mutter werden ...«

Müde sank das Seelchen hin; dann nochmals,

galt es ja soviel, die ganze Zukunft, -

rafft sichs auf, und wandert weiter.

Schäkernd

neckt mit ihrem Manne sich ein Frauchen,

während sie zu Zahlen hinfügt Zahlen.

»Du, wenn wir noch sparen, hörst du, sparen,

wird das schöne Haus am Walde unser.

Höchstens noch drei Jahre, dann: Madame,

nennt man mich, und du, du bist ein Hausherr,

aber: sparen, sparen«.

 

»Möchtest du nicht,

lieber als ein Haus, das Flammen fressen,

Wasser von der Erde tilgen können,

Stürme schädigen, als ein totes Steinhaus,

ein lebendig Herz voll warmer Liebe,

die nicht Sturm noch Feuer töten kann,

ein geliebtes Kind dein eigen nennen?«

Und die junge Frau fährt sich erschrocken

vor die Stirne.

 

»Wenn wir zwei .. allein,

wenn allein wir bleiben, wird es langen,

nur .. kein drittes, ... dann verwandelte

in ein eitles Luftschloß sich mein Häuschen,

nur kein ... drittes .. Hassen würd ichs, hassen«.

Da erhob das kleine Seelchen weinend,

flugbereit die müdgewordnen Schwingen.

»Herr, mit meinem Flecken kehr ich wieder,

denn ich fand auf Erden keine Mutter«.



(* 1859-07-22, † 1927-04-28)



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