Der Sclavin Teppich (1)


Der Morgen graut in jener fernen Zone,

Wo sich um Palmen die Liane schlingt,

Wo in dem Schatten grünender Bananen

Am klaren Quell das schlanke Lama trinkt;

Und aus des reichen Pflanzers offner Pforte

Zieht Paar um Paar der Schwarzen Schaar heraus,

Zu bringen heut′ des Hanfes reiche Ernte

Dem weißen Manne in sein stattlich Haus.

 

Die letzt′ im Zug, mit trüb gesenktem Auge,

Geht langsam eine junge Negerin,

Zum ersten Mal thut heut′ sie Sclavendienste

Und blicket weinend auf die Halme hin:

»Wie euch, ihr Pflanzen, von der warmen Erde,

Der ihr entsprießt, jetzt löset meine Hand,

So riß man grausam unter tausend Thränen

Mich los von dem geliebten Vaterland!«

 

Am Mittag sitzt sie in der kühlen Halle,

Die Klag′ auf′s Neu′ von ihren Lippen bebt,

Indess′ sie aus des Hanfes zähen Fasern

Ein rauh′ Geflecht mit fleiß′gem Finger webt:

»Sonst saß ich froh im Kreise der Gespielen,

Zu dienen, ach! ist jetzt mein traurig Loos,

Nicht mehr geachtet von den weißen Menschen,

Als dieses roh′ Gespinnst in meinem Schooß.

 

Die Früchte, die dem fremden Land sie rauben,

Sie drin versenden in ihr heimisch Reich,

Wie ich hierher von ferner Meeresküste

Geschleppt bin, einer nied′ren Waare gleich!

O, dieses Tuch, dürft′ es die Thränen künden,

Die hier ich wein′ um mein verlor′nes Glück« -

Die Glocke tönt - der Hüter holt von dannen

Des schwarzen Mädchens erstes Sclavenstück!



(* 1821-06-12, † 1877-11-28)



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