Das Ärgernis


Was ist das doch in diesen Tagen

Ein Summen, Surren, Hasten, Jagen!

Am Boden welch ein froh Gewühl!

Ein jeder Käfer zeigt Gefühl

Und muss sein Weibchen wild umfassen.

Die ganze Welt ist ausgelassen,

Und jedes Tier begreift sein Leben

In Liebe nehmen, Liebe geben.

Das ist ein Werben, Jubeln, Klagen

In diesen schönen Frühlingstagen!

 

Ein Ochse steht am Wiesenrand,

Und sein kastrierter Viehverstand

muss unberührt von diesem Treiben

Und dieser Sinnenfreude bleiben.

Er fühlt im Fressen sich gestört

Von allem, was er sieht und hört.

Da wird gejagt und wird getanzt

Und sich ganz einfach fortgepflanzt!

 

Das unbekümmerte Gewühl

Verletzt sein tiefstes Schamgefühl.

Wie kann es nur der Schöpfer sehen,

Dass solche Dinge hier geschehen?!

Ihm kommt es ganz abscheulich vor,

Und klagend blickt sein Aug′ empor.

— Ja, ja! Man sieht ′s dem Ochsen an:

Das Rindvieh ist ultramontan.



(* 1867-01-21, † 1921-08-26)



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