Nachklänge (2)


1

 

O Herbst, in linden Tagen

Wie hast du rings dein Reich

Phantastisch aufgeschlagen,

So bunt und doch so bleich!

 

Wie öde, ohne Brüder,

Mein Tal so weit und breit,

Ich kenne dich kaum wieder

In dieser Einsamkeit.

 

So wunderbare Weise

Singt nun dein bleicher Mund,

Es ist, als öffnet′ leise

Sich unter mir der Grund.

 

Und ich ruht überwoben,

Du sängest immerzu,

Die Linde schüttelt′ oben

Ihr Laub und deckt′ mich zu.

 

2

 

An meinen Bruder

 

Gedenkst du noch des Gartens

Und Schlosses überm Wald,

Des träumenden Erwartens:

Obs denn nicht Frühling bald?

 

Der Spielmann war gekommen,

Der jeden Lenz singt aus,

Er hat uns mitgenommen

Ins blühnde Land hinaus.

 

Wie sind wir doch im Wandern

Seitdem so weit zerstreut!

Fragt einer nach dem andern,

Doch niemand gibt Bescheid.

 

Nun steht das Schloß versunken

Im Abendrote tief,

Als ob dort traumestrunken

Der alte Spielmann schlief.

 

Gestorben sind die Lieben,

Das ist schon lange her,

Die wen′gen, die geblieben,

Sie kennen uns nicht mehr.

 

Und fremde Leute gehen

Im Garten vor dem Haus -

Doch übern Garten sehen

Nach uns die Wipfel aus.

 

Doch rauscht der Wald im Grunde

Fort durch die Einsamkeit

Und gibt noch immer Kunde

Von unsrer Jugendzeit.

 

Bald mächtger und bald leise

In jeder guten Stund

Geht diese Waldesweise

Mir durch der Seele Grund.

 

Und stamml ich auch nur bange,

Ich sing es, weil ich muß,

Du hörst doch in dem Klange

Den alten Heimatsgruß.



(* 1788-03-10, † 1857-11-26)



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