Die Lerche


1

 

Ich kann hier nicht singen,

Aus dieser Mauern dunklen Ringen

Muß ich mich schwingen

Vor Lust und tiefem Weh.

O Freude, in klarer Höh

Zu sinken und sich zu heben,

In Gesang

Über die grüne Erde dahin zu schweben,

Wie unten die licht′ und dunkeln Streifen

Wechselnd im Fluge vorüberschweifen,

Aus der Tiefe ein Wirren und Rauschen und Hämmern,

Die Erde aufschimmernd im Frühlingsdämmern,

Wie ist die Welt so voller Klang!

Herz, was bist du bang?

Mußt aufwärts dringen!

Die Sonne tritt hervor,

Wie glänzen mir Brust und Schwingen,

Wie still und weit ists droben am Himmelstor!

 

 

2

 

Ich hörte in Träumen

Ein Rauschen gehn,

Und sah die Wipfel sich säumen

Von allen Höhn -

Ists ein Brand, ists die Sonne?

Ich weiß es nicht,

Doch ein Schauer voll Wonne

Durch die Seele bricht.

Schon blitzts aus der Tiefe und schlagen

Die Glocken und schlängelnder Ströme Lauf

Rauscht glänzend her,

Und die glühenden Berge ragen

Wie Inseln aus weitem dämmernden Meer.

Noch kann ich nichts sagen,

Beglänzt die Brust,

Nur mit den Flügeln schlagen

Vor großer selger Lust!



(* 1788-03-10, † 1857-11-26)



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Kommentare


  • Frank Brokmann
    In diesen schweren Zeiten
    Suchte ich wohl Schutz
    Hier in Portugales Weiten.
    Manch Vogel wollte singen.
    Vor Lust und ganzem Eigennutz
    Fühl ich die Lieder in mich dringen,
    Doch mir ists nicht genug.
    Ich brauche Eichendorff, den Dichter,
    Den ich daher frug,
    Ob er denn nicht ein Lied könnt bringen,
    Für mich, dass meine Seele lichter?
    Im Netz schlug er "Die Lerche" vor.
    Nun tritt die Sonne schon empor,
    Und Lied und Seele dringen
    Hinan, als wenn jetzt alle Vögel singen!

  • hagstroem, jens
    Hallo Herr Brokmann,
    dass Sie "in diesen schweren Zeiten Schutz suchen konnten in Portugals Weiten" ist schon ein großes Privileg, und dann fallen Ihnen noch so schöne Verse ein, die den Herrn von Eichendorff post mortem doch sehr erfreuen dürften.
    Es grüßt Die See