An Damis (1)


in der Abwesenheit

 

Freund, den das strenge Geschick nun meiner Umarmung entrissen,

Und weit von der zärtlichsten Freundinn geführt;

Freund, der Du vormals die Kraft der siegenden Liebe empfunden,

Empfindst Du sie itzt noch; so höre dieß Lied.

 

Dort, wo die Schatten des Hayns uns Liebende willig empfingen,

Wo nie ein nachspürender Blick uns entdeckt;

Dort, wo die Zephirs ins Thal auf weichem Moose sich welzten,

Und uns in vertrauten Gesprächen behorcht;

 

Wo seit Jahrhunderten schon ehrwürdige Eichen sich breiten,

Und stolz sich die schlankere Fichte erhebt:

Da, Freund, da sank ich dahin, in deine mir wartenden Arme,

Entzückt, wie die Wollust, und froh, wie der Scherz.

 

Die heitre, lachende Stirn umwölkte kein trüber Gedanke,

Dein Blick traf gewaltig, wie Blitze, mein Herz.

O Zeit! - - - In Dir, liebster Freund, da hatte ich alles gefunden,

Die Freundschaft, die Liebe, Trost, Hoffnung und Rath.

 

Du sachest den Trieb in mir auf zur sel′gen Erkenntniß der Weisheit,

Und Du, Du entwickeltest mich selber erst mir.

Ihr Stunden flohet vorbey, wie Morgenträume dahin fliehn,

Und alle, die folgen, ersetzen euch nicht.

 

Du nun verödeter Hayn, nun düstere traurige Schatten,

Nun nicht mehr willkommene Zephirs, nicht mehr

Mein lieblichs heiliges Thal! itzt seyd ihr mir schrecklich und einsam!

Ist Damis hier nicht mehr; so lieb ich euch nicht.

 

O Freund! Wenn seh ich Dich einst! Wenn schlagen, in deiner Umarmung,

Die pochenden Adern mit doppelter Kraft!

O! Damis, könnt ich Dich sehn; ich würde die Wüsten nicht scheuen,

Ich irrte begierig, mit strauchelndem Fuß,

 

Auf steilen Bergen umher, und stieg in die finstersten Thäler,

Und wollte Dich rufen im einsamen Hayn;

Wie eine Hindinn, voll Furcht, in Wüsteneyen herum irrt,

Den ihr entrissenen Liebling zu sehn.



(* 1725-11-25, † 1782-01-29)



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