Neujahr


Und wieder sprang ein dunkles Tor,

Und wieder flutet Morgenluft

Entgegen aus dem Dämmerflor

Aus unbetretnen Fluren vor:

Im Frühlicht grüßt ein neues Land -

Rauschend in deiner Hand

Flattert hochauf das Panier!

Und hinter dir und mir

Schließt sich wieder eine Gruft...

 

Stehst du, und lauschest zurück

Nach dem metallenen Ton,

Nach dem dumpfen Verhallen?

Denkst du, wieviele Tore schon

So ins Schloß uns gefallen?

Wie zwischen allen

Jahr um Jahr

Unser Wallen

Ohne Erfüllung war?

Wie wir Pilger nach klarstem Gral

Durch hemmende Qual,

Durch täuschende Lust

Weiter und immer nur weiter gemußt?

 

Bruder! voran geschaut,

Vor in die fernste Ferne!

 

Dort, wo es graut und braut,

Dort noch immer wartet das Glück

Unverloren

Hinter vielhundert Toren!

Sieh, schon erlöschen die Sterne

Unserer letztbegrabenen Nacht -

Wieder ein Tag ist erwacht,

Ein Tag vor Gott, ein Jahr der Tat!

Brauchen wir besseren Rat?

Fort, und hinein mit festem Schritt!

All was wir sind und haben,

Liegt nicht dahinten begraben -

All unsre Sehnsucht nehmen wir mit!



(* 1866-12-04, † 1928-03-29)



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