Die toten Freunde


Heut′ Nacht, als ich die Straßen durchstrich,

Meine toten Freunde erwarteten mich,

 

Der eine da, der andre dort,

Ein jeder an seinem besondern Ort

 

Als Kamerad für den einsamen Gang:

Es war, als warteten sie schon lang′

 

Und freuten sich über den guten Witz ..

Als ersten traf ich den wilden Fritz.

 

Der stand im Häuserschatten gebückt,

Den Schlapphut tief in die Stirn′ gedrückt,

 

Und brummte: "Nun schmeckt uns ein Schoppen Wein!"

Die Schenke war nah - wir traten ein.

 

Er stürzte hinunter sein Glas mit Hast

Und schaute mich an mitleidig fast,

 

Derweil er halb gut und halb spöttisch sprach:

"Hängst du noch immer dem Unsinn nach?

 

Hast du noch immer nicht erfaßt,

Was den Rummel zur Lust macht, und was zur Last?

 

Ich hab′s begriffen - hab′ nicht geträumt,

Hab′ schnell gelebt, aber nichts versäumt!

 

Noch gab es keinen, der mehr besaß

Als Weib und Wein und Macht und Spaß!

 

Mit anderm verplempert man nur seine Zeit -

Und, glaube mir: leer ist die Ewigkeit!

 

Ich nahm mir die vier, so gut und so lang′

Ich konnte: so richtig im Überschwang!

 

Und jetzt, verstehst du, Brüderlein mein,

Ist mein einziger Trost so ein Tropfen Wein,

 

Im Mondlichtdämmer erhascht mit Hast -

Den ertrotz′ ich mir noch als begrabener Gast!"

 

Und gierig trank er mir zu - und zerfloß

In Rauch und Luft, mein alter Genoß.

 

Auf sprang ich, und zahlte.. die Kellnerin

Schob lachend die Hälfte mir wieder hin.

 

Und weiter schritt ich. Am nächsten Haus,

Da lauerte der systematische Kaus,

 

Griff gleich meinen Arm, und zog mich dahin:

"Du weißt gar nicht, Lieber, wie glücklich ich bin!

 

So sicher ich stets meiner Sache war,

Mich quälten doch Zweifel noch Jahr für Jahr,

 

Ob all mein Denken und all mein Sehn

Vor dem großen Sprung auch würde bestehn?

 

Nun aber weiß ich: die Sache ist echt,

Sie blieb, wie sie war - und ich habe recht!

 

Ich löst′ es, das große Rätsel der Welt -

Ganz wie ich sie dachte, so ist sie bestellt!

 

Von allen warst der Liebste mir du,

Aufmerksam hörtest du immer mir zu -

 

Und darum will ich, dich ganz zu belehren,

Dir alles noch einmal gründlich erklären!

 

Du weißt ja, ich sagte -" der Schatten schwand

Wie trüber Dunst an der Häuserwand.

 

Und weiter ging ich im Mondenglanz;

Als dritten traf ich den feurigen Franz.

 

Der sprach: "Du bist jetzt öfter allein -

So dacht′ ich, wir könnten zusammen sein.

 

Wir waren verschieden - wir sind es noch:

Aber Freunde, das wurden und blieben wir doch!

 

Ich folgte der Glut, dem flammenden Trieb -

Dir war nur das stillere Schauen lieb:

 

Doch was man daneben sich bieten kann,

Das gaben wir uns, der Mann dem Mann!"

 

- Nun weißt du wohl mehr? so fragt′ ich in Eil′.

Er lachte, und sagte: "Im Gegenteil!

 

Ich weiß nur, daß falsch war ein jeder Schluß,

Daß jeder von vorne beginnen muß,

 

Und zwar mit seinem ganzen Ich -

Ich kann dir nur sagen: ich plage mich!

 

Und so ist es recht! Denn wir würden sonst träg -

Und fern ist das Ziel, und verworren der Weg.

 

Viel ferner, verwirrter nur seh′ ich die zwei,

Seitdem ich von menschlichem Dünkel frei,

 

Seitdem ich gelernt: all′ was wir geschaut,

All′ was wir so fein uns zum Ganzen gebaut,

 

War höchstens ein Ahnen, vermengt mit Wahn,

Ein erstes Tasten auf sternweiter Bahn!

 

Doch daß ich nun heute hier gehe mit dir,

Das frommt doch uns beiden, glaube mir:

 

Weiß keiner vom andern, was not ihm tut,

Weiß jeder doch, daß er dem andern gut!"

 

So sagte der Franz, und er sagte noch mehr;

Aufhorchend ging ich neben ihm her,

 

Und ging mit ihm wohl an die zwei Stunden ..

Hätt′ fast mich nimmer zurückgefunden.



(* 1866-12-04, † 1928-03-29)



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