Die einsame Amsel


Droben, hoch auf der Spitze des alten Turmes.

einsame Amsel, singst du ins weite Land

dein Lied hinaus, bis schließlich der Tag vergeht.

Und harmonischer Wohlklang erfüllt dieses Tal.

Frühling glänzt überall

in den Lüften und jubiliert auf den Feldern,

und Rührung ergreift das Herz, wenn man schauend steht.

Du hörst die Schafe blöken, die Rinder muhen.

Die anderen Vögel ziehen vergnügt um die Wette

am blauen, heiteren Himmel tausend Kreise

und feiern ihres Lebens schönste Zeit.

Du bleibst sinnen beiseit und betrachtest das alles.

Du nimmst nicht teil, und du fliegst nicht.

Scherz und Fröhlichkeit abgeneigt, sitzt du und singst du,

und so, in Gedanken, verbringst du

des Jahrs und des eigenen Lebens Blütezeit.

Weh mir, wie ähnlich im Grunde

ist deine Art zu leben der meinen. Frohsinn

und Lachen, stets mit der Jugend im süßen Bunde,

und Liebe, auch dich, der Jugend leibliche Schwester

und der späten Tage nittere Sehnsucht,

acht ich nicht, ich weiß nicht, warum. Statt dessen,

zieht es mich fluchtartig fort.

Ein Einsiedler gleichsam und Fremder

am eigenen Heimatort

schaue ich zu, wie der Lenz meines Lebens verstreicht.

Den heutigen TAg, der nun dem Abend weicht,

pflegt man fröhlich zu feiern in unserem Städtchen.

Du hörst in der klaren Luft die Glocke schallen,

hörst wieder uns wieder das DOnnern aus ehernen ROhren

von Dorf zu Dorf in der Ferne widerhallen.

Die Burschen und Mädchen verlassen

die Häuser im Festtagkleid

und schlendern durch den Ort und füllen die Gassen.

Man sieht und wird gesehen und freut sich von Herzen.

Ich stehle mich einsam beiseit

und suche diese entlegenen Felder, verschiebe

auf eine spätere Zeit

Freude und Scherz, und indessen trifft meinen BLick

in lichtdurchfluteter Luft

die Sonne, die in der Ferne zwischen den Bergen

langsam versinkt und erblindet

am Ende des heiteren Tags, und es scheint mir, sie ruft,

sie flüstert mir zu, daß die glückliche Jugendzeit schwindet.

Einsamer kleiner Vogel, du wirs am Abend

deine Lebens, den dir die Sterne bestimmen,

die Art, wie du lebtest, sicher

nicht bedauern. Denn eure Neigung ist nur

eine Frucht der Natur.

Ich aber, wenn ich nicht

die dunkle, verabscheute Schwelle

des Alters zu meiden vermag,

wenn diese Augen nicht mher zum Herzen des andren

sprechen, die Welt sich leert und der morgige TAg

trostloser noch als der heutige zu werden verspricht,

was wohl werde ich denken

von mir selbst, und wie ich gelebt und gehofft?

Bereuen werde ich und oft

ungetröstet die Blicke rückwärts lenken.



(* 1798-06-29, † 1837-06-14)



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