Nachtgedanken


Die Straße ist nun fast schon tot –

Vorüber klappt, tappt ein Schritt –

Das Echo hastet hallend mit.

Der träge Mond sieht dunstigrot

Auf grünes Gaslicht-Flimmern –

Nun schlafen alle Menschen in den Zimmern.

Die Straße ist nun hohl und tot –

 

Die schwarze Schweigenacht hat sacht

Die Menschenstadt in schweren Schlaf gedrückt.

Doch himmeloben wacht

So sonderbar verrückt

Der übernächtig träge Mond.

 

Die Stadt ist traurigtot – als wenn sie unbewohnt –

Doch himmeloben glüht der Mond:

Doch himmeloben glühen große Leben

Über unsern dunstigdunklen Nachtschlaf-Sphären:

Ungeheure Stern-Schwärme schweben

Prasseln, rasen, blitzen, und gebären

Aus sich selber immer neue Funken:

Millionen Sterne schweben, leben

Über unsrer toten Nacht.

Himmeloben brechen Feuerfluten aus Vulkanen,

Weltenkörper rasen krachend unermeßliche Bahnen.

Sonnenkörper-Splitter irren trunken,

Zitternd, splitternd in den All-Orkanen –

 

Und wir selbst –?

Wir winzigkleinen Schläfer,

Erstarrt im Stadtnacht-Schweigen:

Wir rollen, sollen mit im vollen Reigen!

 

Wir liegen fest in Schlafes-Ketten,

Bewegungslos, betäubt in unsern Betten,

In enger Schiffskabine,

In nachterstarrtem schwarzem Wahn –

Doch treibt und treibt die Erdenschiffs-Maschine

In steter Rase-Reise,

In unerfaßbar großem Kreise,

Uns durch den Weltraum-Ozean:

Durch die Nacht.



(* 1890-10-21, † 1918-10-13)



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