Irland


An rost´ger Kette liegt das Boot;

Das Segel träumt, das Ruder lungert.

Das macht, der Fischerbub ist tot;

Das macht, der Fischer ist verhungert!

Denn Irlands Fisch ist Herrenfisch;

Der Strandherr praßt vom reichen Fange,

Leer aber bleibt des Fängers Tisch –

So starb der Fischer, so sein Range.

 

Die Herde blökt, die Herde brüllt;

Welch ein Gedräng von Küh´n und Schafen!

Der Hirt, von Lumpen schlecht verhüllt,

Treibt sie ans Meer zum nächsten Hafen.

Denn Irlands Vieh ist Herrenvieh:

Das gerne Paddys Knochen stärkte

Und seiner Kinder brechend Knie –

Der Grundherr schickt´s auf fremde Märkte.

 

Drum ist sein Viehstall ihm ein Born

Der Üppigkeit und des Genusses,

Und jeglich Kuh- und Bullenhorn

Wird ihm ein Horn des Überflusses.

Er läßt zu London und Paris

Den Spieltisch unterm Gold sich biegen; –

Sein Volk, das er zu Hause ließ,

Fällt unterdes wie Winterfliegen.

 

Halloh, Halloh! Grün-Erins Jagd!

Paddy, lang´ zu! das nenn´ ich Ziemer!

Umsonst! auch das wird fortgebracht,

Meerüber mit dem ersten Steamer!

Denn Irlands Wild ist Herrenwild:

Es füllt des Grundherrn Bauch und Taschen –

Der bleiche Knecht, des Elends Bild,

Hilf Gott! ist selbst zu matt zum Paschen!

 

So sorgt der Herr, daß Hirsch und Ochs,

Das heißt: daß ihn sein Bauer mäste;

Statt auszutrocknen seine Bogs –

Ihr kennt sie ja: Irlands Moräste!

Er läßt den Boden nutzlos ruhn,

Drauf Halm an Halm sich wiegen könnte;

Er läßt ihn schnöd dem Wasserhuhn,

Dem Kibitz und der wilden Ente!

 

Ja doch, bei Gottes Fluche: – Sumpf

Und Wildnis vier Millionen Äcker!

Ihr aber seid blasiert und stumpf,

Faul und verfault – euch weckt kein Wecker!

O, irisch Land ist Herrenland:

Drum stehn die Mütter an den Wegen,

Den toten Säugling im Gewand,

Und flehn euch, ihn ins Grab zu legen.

 

– So schallt die Klage Tag und Nacht,

So grollt es Connaught durch und Leinster.

Der West hat mir den Schrei gebracht –

Er trug ihn schrill bis vor mein Fenster.

Matt, wie ein angeschossner Weih,

Herschwebt´ er über Höh´n und Sunde –

Der Schrei der Not, der Hungerschrei,

Der Sterbeschrei aus Erins Munde!

 

Erin – da liegt sie auf den Knien,

Bleich und entstellt, mit weh´ndem Haare.

Und streut des Shamrocks welkend Grün

Zitternd auf ihrer Kinder Bahre.

Sie kniet am See, sie kniet am Strom,

Sie kniet auf ihrer Berge Kronen –

Mehr noch, als Harold-Bhrons Rom,

»Die Niobe der Nationen!«



(* 1810-06-17, † 1876-05-18)



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