Phantasus Heft 2


Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt

war ich eine Schwertlilie.

Meine Wurzeln

saugten sich

in einen Stern.

Auf seinem dunklen Wasser

schwamm

meine blaue Riesenblüte.

 

Da so in Hinterindien rum

muss ich schon mal irgendwie gelebt haben.

Ein kleiner Prozentsatz von mir

war mit Schuld daran, dass es mal Gotamo Buddho gab,

und noch heute, nachts, im Traum,

wenn ich ihn nicht mehr so recht kontrolliren kann,

trinkt er Palmwein aus Rhinozeroshörnern.

 

Drei Tage lang

fiel in den Fluss Fu ein Regen von Pfirsichblüten.

Aus ihren gelben Seidengewändern tauchten die Mädchen und sangen.

Sie wateten ins Wasser, spritzten, kreischten

und kitzelten die Schwäne.

Die Schönste,

lächelnd,

beide Arme unterm Kopf,

liess sich von der Strömung treiben.

Rot,

wie ein Flammenmantel,

floss um sie ihr Haar,

zwei kleine Tröpfchen perlten noch auf ihren Brüsten.

Leda lag nicht nackter.

Die bunten Wellen schaukelten sie an meine schwimmende Insel.

Oh!

Ein schwarzes Bocksgestell, ein Eselsbauch, ein altes, dickbehaartes Vieh mit Hörnern!

Ihre langen Wimpern schlossen sich,

um ihre weissen, zitternden Kniee drängten sich, wankten

Narzissen ...

Sie schlug die Augen auf. Ich liess sie nicht. Sie bettelte: Nicht kitzeln, nein?

Süsser!

Zehn zarte, rosenrote Finger

krallten

verliebt in meinen Zottelpelz.

Au! Racker! Du beisst ja! Ist das der Dank?

Sie kicherte.

Mein Bett aus Moos missfiel ihr nicht,

mein langer Bocksbart imponirte ihr,

die Temperatur, auch nachts, ist bereits ganz vorzüglich,

sie gedenkt also noch einige Zeit bei mir zu bleiben.

 

Ueber den Gipfel des Fuyi-no-yama,

auf Feuerflügeln,

hebt sich Kijo Matija, der graue Drache.

Der Mond verblasst,

alle Sterne erblinden.

Ich packe meinen Bogen aus Ebenholz,

spanne den federnden Bambusbügel

und lege den silbernen Pfeil auf.

Ich ziele.

Mit der Nase

stürzt er in den Baikalsee,

sein linker Hinterzeh zerquetscht den Dhawalagiri.

Die Erde grünt, ihre Saaten schiessen,

alle Weiber gebären wieder!

 

Alle tausend Jahre

wachsen mir Flügel.

Alle tausend Jahre

saust mein purpurner Drachenleib.

durch die Finsterniss.

In entseelte Himmel

spei ich

Myriaden Sterne!

Am Bach,

unter Weiden,

sitz ich dann, flechte mein langes Goldhaar, singe

und freue mich, wie sie Oben glitzern.

 

Oben, im siebenten Sommerhimmel, angenehm nackt,

residirt heute der ganze Olymp.

In einem amethystblauen See,

nicht im Mindesten genirt, dass ich ihr hier von Unten zukucke,

badet Frau Venus.

Dort die Dicke, die dem Schwan winkt, ist Juno.

Um Gottes Willen!

Welche verfängliche Positur! Wenn Das der Herr Gemahl sieht!

Der dreht ihr den Rücken,

liegt behaglich wiederkäuend mitten auf einer Smaragdwiese

und lässt sich von liebenswürdigen Nymphen

Lorbeern, Weinlaub und gefüllte Veilchen

um die riesigen Hörner winden.

 

Unter weissen Sommerwolken -

Blumen und Gräser wiegen sich, ich bin so wunderbar müde.

Aus einer Welt, die unterging, ruft der Vogel Bülow,

in meinen Traum

flammt Mohn, wogt ein Kornfeld.

Durch riesige Korallenwälder

sinke ich immer tiefer.

Seesterne rollen in mir und alte Kronen.

Meine grünen Töchter,

Tang im Haar,

tanzen.

Ich bin die Flut, ich bin die Finsterniss.

Glocken!

Durch die hängenden Zweige eines Birkenwäldchens

glitzert ein Goldhimmel.

 

Die Sonne sank.

Ich wartete. Wie lange ...

Unsichtbar,

wie ersticktes Weinen,

klang unter den Weiden der Fluss.

Durchs Dunkel, neben mir, taste ich nach den roten Blumen.

Sie sind welk.

Du hast mich vergessen!

 

Rote Rosen

winden sich um meine düstre Lanze.

Durch weisse Lilienwälder

schnaubt mein Hengst.

Aus grünen Seeen,

Schilf im Haar,

tauchen schlanke, schleierlose Jungfraun.

Ich reite wie aus Erz.

Immer,

dicht vor mir,

fliegt der Vogel Phönix

und singt.

 

Der Horizont ein Flammenring,

kein Segel!

Jammernd,

die weissen Hände

ringt

die schönste Frau.

Nur stürzende Wellenberge,

blinkende Delphine

und fern ein Meervolk, das auf Muschelhörnern bläst.

Die Sonne brennt, die Brandung unten zischt,

das Ungeheuer,

mit gestreckten Poten,

die sieben Zungen schlaff aus seinem Maul,

liegt auf dem Rücken uns schläft.

Einmal,

zweimal noch,

krümmt sich sein Schweif,

zuckt,

ringelt sich und rollt dann wieder langsam in die Klippen.

Tang und Quallen kriechen an ihm hoch.

 

Purpurne Citronenwälder

blühen um blaue Meere.

Mit seidnen Segeln

saust

mein Drachenschiff.

Fest,

in den grünen Gischt,

drückt meine Faust das Steuer;

keine Wimper zuckt.

Zu dir! Zu dir!

Unter meinem spiegelnden Goldpanzer,

aus dem die Sonne strahlt,

klopft

mein Herz.

 

Die Lampe brennt.

Von allen Wänden

schweigen um mich die dunklen Bücher.

Eine kleine Fliege, die noch munter ist,

verirrt sich in den gelben Lichtkreis.

Sie stutzt, duckt sich und tupft mit dem Rüssel auf das Wort

Inferno.

 

Horche nicht hinter die Dinge. Zergrüble dich nicht. Suche nicht nach dir selbst.

Du bist nicht!

Du bist der blaue, verschwebende Rauch, der sich aus deiner Cigarre ringelt,

der Tropfen, der eben aufs Fensterblech fiel,

das leise, knisternde Lied, das durch die Stille deine Lampe singt.

 

Um eine rote, glühende Eisensäule bis in den Himmel,

mit spitzen Glasscherben und Scheermessern gespickt,

werde ich an unsichtbaren Ketten langsam rauf und runter gedreht.

Langsam, ruckweis und gründlich.

Ich stöhne, ächze, gurgle, brülle: Hosianna!

In sieben mal siebzig Ewigkeiten,

wenn die Scherben zermürbt sind und die Messer nicht mehr können,

wird die Säule schwarz stehn;

unten,

in dem runden, stinkenden Tümpel um sie,

wird mein Hirn, meine Leber, mein Blut, der ganze Matsch geronnen liegen,

und ich,

"geläutert";

eine verklärte, selig gewordne Liebigbüchse,

werde schluchzend

mit meinem letzten, übrig gebliebenen Knöchelchen

an die Pforte des Paradieses klopfen!

 

Herr, mein Herr, Du bist sehr herrlich!

Alle Götter der Welt sind Götzen.

Nur Du nicht!

Meine Lippen preisen Dich.

Du bist gnädig und gerecht, Du bist barmherzig!

Ich fürchte mich nicht vor Dir, dass mir die Haut schaudert,

und entsetze mich nicht vor Deinen Rechten.

Deine Gedanken sind so sehr tief!

Du drehst die Kurbel,

die mich um diese Säule quetscht,

Du hast ihre Scherben, Du hast ihre Rasirmesser gewetzt,

Du bist so allgütig ...

Sieh!

Auf Flügeln,

die wie Silber und Gold schimmern,

in weissen Gewändern,

Rosen im Haar,

schweben

um dieses glühende, zuckende Fleisch

all Deine Engel.

Singend, jubelnd,

in Millionen Schaalen,

sammeln sie meine Freudentränen!

Halleluja!!

 

Gottseidank!

Die Hausthür ist zu, mich kann Niemand mehr besuchen.

Ich öffne ein Päckchen "Blaubienenkorb"

und stopfe die lange Pfeife.

Es regnet so schön.

In den Schlafrock gewickelt,

die Tapete entlang,

fährt sichs jetzt prächtig nach alten Ländern.

Alles versinkt!

Aus einem stillen, himmlisch blauen Wiesenwässerchen

mit bunten, gespiegelten Blumen und Wolken

lande ich in ein Städtchen.

Die dünnen Gräserchen über die bröckelnde Rundmauer blinken noch,

jedes sich drehende Wetterfähnchen

erzählt mir eine Geschichte.

 

In unsrer alten Apotheke

mit den vielen Treppen und Dachböden

waren lauter Schornsteine.

Unter den einen konnte man sich mitten drunter stellen

und sah dann am helllichten Tage die Sterne.

Manchmal war Alles dunkel.

Dann sah man garnichts und fühlte nur, wie einem die dicken, schweren Regentropfen

eiskalt auf die Backen platschten.

Aber das Schönste war doch, wenn man kurz vor Weihnachten,

frühmorgens,

wenn das ganze Haus nach Marzipanherzen roch,

grad unter dem kleinen, viereckigen Kuckloch oben,

auf der Erde einen weissen, spitzen Schneehaufen entdeckte.

Der glitzerte dann wie die Konditormütze!

 

Ich liege auf dem alten Kräuterboden und "simmiliere".

Der liebe Gott ist der Konditor Knorr.

Er hat eine weisse Mütze

und in seinem Fenster stehn lauter Likörflaschen.

Wenn die Sonne scheint, kann man mitten durch sie durchsehn.

Dann sind die Kuchen dahinter manchmal gelb, manchmal rot und manchmal sogar blau.

Der Teufel ist der Schornsteinfeger Killkant.

Er hat einen Cylinderhut und keine Strümpfe. Seine Füsse sind zum Schämen.

Wenn der am lieben Gott seine Likörflaschen vorbeigeht,

verdrehn sich seine Augen.

Sie sehn dann weiss aus!

Wenn man tot ist,

wird man in die Erde gebuddelt und kriegt einen Kranz auf den Bauch.

Ja.

Und wenn dann bald wieder Weihnachten ist,

backt die Mutter Judenkringel.

Ach, Judenkringel!

Die kann man immerzu essen. Die sind das Schönste, was es giebt.

 

Der Mond

sieht den Dächern in die Schornsteine.

Der Ahorn

hinter der alten Sakristei

leuchtet.

Das ganze Städtchen liegt wie versilbert!

 

Du liest, dass der Herzog von Devonshire jährlich 100,000 Pfund verbraucht,

und beneidest ihn um seine Jaspispaläste.

Narr!

Bekuck dir den braunen, grüngesprenkelten Kattunpuckel deiner alten Zeitungsfrau,

horch, was über deinem Fenster die Schwalbe mit ihren Jungen zwitschert,

freue dich, wie die wilde Distel, die du nach Hause trugst, nach Honig duftet,

sauge in dich die Sonne!

Jede Sekunde, die du lebst, vergeudet über dich Schätze.

 

Auf einem Schreibtisch,

neben einem grünverhangenen Fenster, durch das die Sonne scheint,

zwischen zwei Büsten aus Bisquitporzellan, rechts "die Kunst", links "die Wissenschaft",

liegen in einem marmorirten Pappdeckel, den ich selbst geklebt habe,

meine ersten Gedichte.

Vor ihnen,

in seinem Lutherstuhl,

im rotplüschnen Schlafrock, unrasiert, die Finger in seiner riesigen Fliege,

mein lieber, alter, väterlicher Freund, Herr Fiebig.

"Klinginsherz!"

Mein erstes Werk - mein erster Kritiker.

Ich sitze da.

Ueber der kleinen Schreibzeugvenus aus Cuivre poli

die drei Alabastergrazien als Briefbeschwerer,

dahinter in goldbedruckten Prachtbänden, deren Titel mich immer so anziehn,

"Die Wunder der Zeugung", "Liebe und Ehe", "Der Mensch und sein Geschlecht",

und drüben - zwischen den beiden Schweizerlandschaften - nahezu lebensgross,

die badende Oeldrucknymphe:

eine blendende Brust, ein sinkendes Tuch, ein errötendes Lächeln,

Schenkel, wie aus einem Schlächterladen!

Meine bedrängten Augen irren angstvoll weiter.

Was wird er sagen?

Sein Daumen, nass gemacht, dreht schon die letzte Seite!

Ein leeres Papageienbauer, ein Bücherspind, Ariadne auf Naxos,

in einem ovalen Alfenidschälchen, gleich obenauf, die Visitenkarte des Hausherrn:

"Redakteur des Herzblättchen, Zeitschrift für Neuvermählte!"

Weiter! Oben die Decke! Auch dort!

Zwischen Veilchen, Rosen und Vergissmeinnicht,

auf einem Tintfass,

ein dicker, fleischfarbner Amor,

der, umspielt von Schmetterlingen, mit einer Pfauenfeder in ein Buch schreibt:

"Ohne Liebe gleicht das Leben einer Rose ohne Duft!"

Und ich fühls:

ich bin über und über rot geworden!

 

Dicke, gelbe Butterblumen!

Der Rasen blinkt, die Götter glänzen.

Eine nackte Venus untersucht ihr Knie, ein steinerner Hercules schlägt die Leyer.

Die Wasser stürzen, die Wolken eilen,

die Welt voll Sonne.

Frühling!

In meinem Herzen

träumt das Bild eines kleinen Mädchens

mit geöffneten Lippen und lachenden Augen.

 

So eine kleine Fin-de-Siècle-Krabbe, die Lawn tennis schlägt!

Rote, gewellte Madonnenscheitel,

eine lichtblaue Blouse aus Merveilleux

und im flohfarbnen Gürtel ein Veilchensträuschen,

das nach amerikanischen Cigaretten duftet.

Um ihren linken Seidenknöchel,

wenn sie die weissen Bälle pariert,

klirrt ein Goldkettchen.

Abends ist Feuerwerk.

Man drängelt sich mit ihr in eine möglichst dustre Ecke,

lässt sie sich schmachtend an seinen Busen lehnen

und sieht zu, wie die Sterne zerplatzen.

Ah!

Ein Fünfminutenkuss und gar kein Fischbein.

 

Ich zeige dir den Mond durch einen Frühlingsbaum.

Jede Blüte, jedes Blättchen

hebt sich aus seinem Glanz.

Jede Blüte, jedes Blättchen

schimmert.

Beide Arme

schlingst du mir um den Hals!

 

Das kleine Jöhr in mir,

das nach jedem Sonnenstrahl greift und nach jedem Schmetterling,

das Vergissmeinnichtaugen hat und das mir vor meinem Tode hoffentlich nicht sterben wird,

entzückt sich noch immer über Ludwig Richter.

Der Grosspapa liebt Walter Scott.

Mein Schläfchen,

sonntags,

wenn es zu Mittag Nelson - Cotteletts.

Karpfen in Bier, oder vielleicht gar eine Gans gegeben,

erledige ich auf einem blauen, grüngestreiften Biedermannssopha,

über dem an einer gelben Urvätertapete ein Stich von Chodowiecki hängt;

und auf meinem Vertiko,

zwischen zwei Sträussen aus Zittergras,

paradiert eine blanke mit bunten Blumen bemalte Porzellankuh,

die, während ich schnarche, gemolken wird.

Indessen!

Das hindert mich Alles nicht.

Abends,

auf der Redoute,

mitten unter dem mittelsten Kronleuchter,

bin ich durchaus Europäer.

Eine wandelnde, höchst appetitliche Reklame für einen Wurstladen

hat ausser ihren Brillantohringen wirklich auch noch Tricots an.

Ich hebe mit gespreizten Fingern meinen Handschuh,

bugsiere ihn ihr geschickt bis auf fünf Millimeter vor das schwarze, glänzende Taffetnäschen

lächle

und lasse ihn dann fallen.

Er bleibt sofort stecken.

"Na, kleener Sectproppen, Kostenpunkt?"

 

Auf seiner lustigen Hallelujawiese

duldet mein fröhliches Herz keine Schatten.

Rote, lachende Rubensheilige

tanzen mit nackten Wiener Wäschermadeln Cancan.

Unter fast brechenden Leberwurstbäumen

küsst Corregio die Jo.

Niemand geniert sich.

Goethe, der Hundsfott, langt sich quer über den Schooss die dicke Vulpius.

Kleine, geflügelte Lümmels rufen Prost,

Jobst Sackmann, mein Liebling, setzt n lüttn Kümmel Aquavit drup!

 

Er kann kein Vogelgezwitscher vertragen.

Die sogenannten Naturlaute der Nachtigallen und Lerchen

sind ihm zuwider.

Sein Hirn

ist vollständig mit Watte tapeziert.

In der Mitte

kauert eine kleine Rokokovenus

und piet aus Silber

in einen goldnen Nachttopf.

 

Im Hause, wo die bunten Ampeln brennen,

glänzen auf demselben Bücherspind,

über George Ohnet, Stinde und Dante,

Schiller und Goethe:

beide beteiligt an ein und demselben Gypskranz!

Im Hause, wo die bunten Ampeln brennen,

hängt an derselben Wedgwoodtapete, über demselben Rokokoschirm,

zwischen Klinger und Hokusai,

Anton von Werner.

Im Hause, wo die bunten Ampeln brennen,

spielen dieselben schlanken Hände, auf demselben Ebenholzflügel,

mit demselben Charm und Chic

Frédéric François Chopin und Ludolf Waldmann.

Im Hause, wo die bunten Ampeln brennen,

auf vergoldeten Stühlchen sitzend,

trinkt man Chablis, Pilsner und Sect,

kommt dann peu-à-peu auf Nietzsche,

zuletzt wird getanzt.

Ich küsse entzückt der Hausfrau die Hand,

enttäusche einen älteren, glattrasirten Herrn

mit baumwollnen Handschuhen und Wadenstrümpfen

durch eine Mark Trinkgeld

und verschwinde.

 

Durch einen schwarzen, schwehlenden Schneckengang

stinken Pechfackeln.

Grüne, johlende Meerkater

mit Eisenklauen und geringelten Schwänzen

schieben, schleppen, zerren, beissen mich

vor die boshaften Greise.

Die hocken, Strohkronen auf ihren Schädeln, und blinzeln.

Ihre langen Geierhälse recken sich,

aus ihren Froschmäulern quillt Geifer.

Du hast Unsre Tropfsteinstühle bespien! Du hast über Unsre Gesässschwielen gelacht!

Du hast Unsre Excremente nicht verehrt!

Schon hebt der Henker, eine Mandril, seinen riesigen Plättbolzen.

Der glüht!

Die Bestien brüllen, das Eisen zischt,

rotes, berstendes Blutlicht zersprengt die Höhle.

Pestkanaillen!!

Ich strample, stosse, schäume, schreie, schlage wütend um mich.

Stürzen die Sterne zusammen,

bricht die Welt ein?

Auf meinem Bettvorleger,

in kleinen Tümpeln,

zwischen den blauen, blitzenden Scherben meiner Karaffe,

glitzert die Morgensonne.

 

In den Grunewald,

seit fünf Uhr früh,

spie Berlin seine Extrazüge.

Ueber die Brücke von Halensee,

über Spandau, Schmargendorf, über den Pichelsberg,

von allen Seiten,

zwischen trommelnden Turnerzügen, zwischen Kremsern mit Musik,

entlang die schimmernde Havel,

kilometerten sich die Chausseeflöhe.

"Pankow, Pankow, Pankow, Kille, Kille" "Rixdorfer" "Schunkelwalzer" "Holzauktion"

Jetzt ist es Nacht.

Noch immer

aus der Hundequäle

quietscht und empört sich der Leierkasten.

Hinter den Bahndamm, zwischen die dunklen Kuscheln,

verschwindet

eine brennende Cigarre, ein Pfingstkleid.

Luna: lächelt.

Zwischen weggeworfnem Stullenpapier und Eierschalen

suchen sie die blaue Blume!

 

In graues Grün

verdämmern Riesenstämme

Von greisen Aesten

hängt

in langen Bärten Moos.

Irgendwo.. hämmernd.. ein Specht.

Kommt der Wolf? Wächst das Wunschkraut hier?

Wird auf ihrem weissen Zelter,

lächelnd,

auf mein klopfendes Herz zu,

die Prinzessin reiten?

Nichts.

Wie schwarze Urweltkröten,

regungslos,

hockt am Weg der Wachholder.

Zwischendurch

giftrot

leuchten Fliegenpilze.

 

Drei kleine Strassen

mit Häuserchen wie aus einer Spielzeugschachtel

münden auf den stillen Marktplatz.

Der alte Brunnen vor dem Kirchlein rauscht,

die Linden duften.

Das ist das ganze Städtchen.

Aber draussen,

wo aus einem blauen, tiefen Himmel Lerchen singen,

blinkt der See und wogen Kornfelder.

Mir ist Alles wie ein Traum.

Soll ich bleiben? Soll ich weiterziehn?

Der Brunnen rauscht ... die Linden duften.

 

Hinter hohen Mauern

hinter mir

liegt ein Paradies.

Grüne, glitzernde Stachelbeersträucher,

eine Strohbude

und Bäume mit Glaskirschen.

Niemand weiss von ihm.

An einem Halm

klettert ein Marienkäferchen,

plumps, und fällt in goldgelbe Butterblumen.

Hilfreich neigen sich Tausendschönchen,

Stiefmütterchen machen ein böses Gesicht.

Verschollen

glänzen die Beete!

 

Das alte Nest! Die alten Dächer!

Aus dunklen Linden dort

der Turm!

Wie klangen Sonntags seine Glocken,

draussen, fern, wo der Kukuk rief ...

Da wars so still.

Wir pflückten Blumen,

sangen

und horchten, wie′s im Bach kluckerte.

Zwanzig Jahre drüberhin!

Noch einmal jung sein! Mit neuen Augen in die Welt sehn!

Ach, wer das könnte!

 

Noch immer,

durch den brütenden Sommer,

singen die Lerchen.

Meine blinkende Sichel

zischt durchs Korn.

Im roten Kopftuch

hinter mir

müht sich mein Weib und sammelt die Aehren.

Mit nackten Beinchen

und kleinen, braunen Fäusten, die Blumen halten,

liegt, lacht und strampelt

unser Glück.

 

Grossmutter im Lehnstuhl ist eingeschlafen.

Vom Fenster,

durch die weissen Zwirngardinen,

leuchten die Hyazintentüten.

Im Tarlatankleidchen, am alten Klavier,

sitzt noch immer artig das kleine Linchen und spielt.

Eine Musik aus Sonnenstäubchen!

 

Aus grauem Himmel

sticht die Sonne.

Jagende Wolken, blendendes Blau!

Ins grüne Gras greift der Wind, die Silberweiden sträuben sich.

Plötzlich - still.

Auf einem jungen Erlenbaum

wiegen sich blinkende Tropfen!

 

Ueber Tannen und blassen Birken ballt der Abend rote Wolken.

Jetzt ist mein Herz dieser See.

Noch ein Mal, blitzend, streift ihn ein Flügel.

Leise,

dunkel schläft er ein.

 

Purpurne Fische

schwimmen durch mein dunkles Wasser,

weisse Lotosblumen

blühn.

Immer neue Tempelkränze

bauten um mich die frommen Völker.

Millionen Lippen dürsten nach mir.

Langsam,

jedes Jahrhundert einen Tropfen hoch,

schwillt

meine Flut.

Ueber bunte Porphyrtreppen spül ich um grüne Säulen.

Tausend Kuppeln

glitzern aus meinem Grund!

 

Sieben Septillionen Jahre

zählte ich die Meilensteine am Rande der Milchstrasse.

Sie endeten nicht.

Myriaden Aeonen

versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens.

Es erschlossen sich immer neue.

Mein Herz erzitterte!

Selig ins Moos

streckte ich mich und wurde Erde.

Jetzt ranken Brombeeren

über mir,

auf einem sich wiegenden Schlehdornzweig

zwitschert ein Rotkehlchen.

Aus meiner Brust

springt fröhlich ein Quell,

aus meinem Schädel

wachsen Blumen.

 

Hinter den Brettern, die die Welt vernageln,

sitzt ein Frosch mit goldnen Augen.

Schade!

Wenn ich jetzt drüben sässe,

wäre ich ein Königssohn.

Gärten aus blühenden Rosenlauben

funkelten,

Springbrunnen plätscherten,

in ihren weissen Armen wiegte mich eine Prinzessin ...

Da, kuck, ein Astloch.

Ich blinzle durch.

Eine grüne Wiese mit Klapperkraut,

Gänse,

Schnips, der Hund,

und dazu, stubsnäsig, Trine,

die, den Rock schon vorn zu kurz - Lichter zieht und Schmalzbrot kaut!

 

Auf das braune, vertrocknete Laub um die Tiergartenseeen

scheint die Novembersonne.

Mit schillernden Köpfchen aus verzaubertem Grün

wärmen sich in ihr die Enten.

In stilles,

blaues Wasser mit Wolken

wachsen verkehrt schwarze Bäume.

 

Unter dunklen, treibenden Novemberwolken

verdämmert die Haide.

Gebückt,

am Wegrand,

sitzst du und starrst

auf deine welken Hände.

Lebst du noch?

Gemartert,

im Dornenstrauch,

zittert ein letztes Blättchen!

 

Auf einem Berg aus Zuckerkant,

unter einem blühenden Machandelbaum,

blinkt mein Pfefferkuchenhäuschen.

Seine Fensterchen sind aus Goldpapier,

aus seinem Schornstein raucht Watte.

Im grünen Himmel, über mir, rauscht die Weihnachtstanne.

In meinem See aus Staniol

spiegeln sich alle ihre Engel, alle ihre Lichter!

Die kleinen Kinder stehn rum

und staunen mich an.

Ich bin der Zwerg Turlitipu.

Mein dicker Bauch ist aus Traganth,

meine Beinchen Streichhölzer,

meine listigen Aeugelchen

Korinthen.

 

Zwölf!

Durch die Gardinen in den Weihnachtsbaum

scheint der Mond.

Alle Engelchen glitzern.

Im weissen Kleidchen schluchzt die Braut,

wir halten Hochzeit.

Katerlieschen ist unsre Grossmama,

unser Grosspapa heisst Rumpelstilzchen.

Eine uralte Familie!

Die ganze Sippschaft,

alle Marzipanschweinchen sind geladen.

Leise,

knisternd,

seinen Segen,

singt der Weihnachtsstern.

 

In meine Dachkammer,

eine Etage höher als der Himmel,

kommen sie alle.

Menschen, die Goya und Utamaro lieben,

seltne, ganz ausgefallne, verdrehte Exemplare und Hühner,

die Palestrina über Pietro Mascagni stellen,

alte Herren, die heimlich, wenn im März die Veilchen wieder blühn,

auf den Strassen kleinen Rotznasen Bonbons zustecken,

und junge Leute, die Bücher verkaufen

und Sonntags, in ihren Mussestunden, den lieben Gott totschlagen.

Der Meister, der Meester, der Maëstro, der Maëstrino und der Maëstrillo.

Der Maëstrillo, wie immer, ist der Erste.

Er schüttelt den Schnee von den Schultern,

zieht die Handschuhe aus, knüpft das Halstuch ab,

die nassen Galoschen stellt er draussen neben den Rauchfang auf die Bodentreppe.

Um unser rotes, irisches Oefchen, auf Feldstühlchen,

sitzen wir dann,

horchen, wie ab und zu, unsichtbar, durch die Stille auf den Rost der Coaks nachrutscht

und freuen uns, wie durchs Dunkel unsre Cigarren glühn!

 

Auf meinen Probiertisch,

unter die Schusterkugel,

schleppen die jungen, täppischen Riesen mir ihre Missgeburten.

Die leblosen Gliederchen hängen schief, die Aeuglein drehn sich nicht.

lauter Alräunchen!

Hier renke ich ein Rückgrat ein,

dort trepaniere ich eine Schädeldecke,

mit einem Zwirnsfaden, kunstvoll, knipse ich ein Bein ab.

Dann nehme ich ein Prieschen,

rücke die schwarze Hornbrille und stelle die Lampe zurecht.

So.

Nun stippe ich in den Farbentopf.

Polichinell, der noch zu gebildet aussieht, kriegt als Nase eine Leberwurst,

Colombinchen, noch immer nicht schön genug, ein Zinnobermäulchen,

ein quäkendes Engelsküken, hilft ihm Alles nichts, einen Perlmutterpopo!

 

Um Euern Garten,

damit Ihr unter blühenden Bäumen lachen, jubeln und singen könnt,

runde, rolle, ringe ich meinen Drachenleib.

In respectvoller Distance,

mit Steinen, Brechstangen und Kotheimern,

steht das Gesindel.

Seine Wut schäumt auf, seine Ohnmacht brüllt,

wenn hinter den hohen Spiegelmauern, über die Rosen ranken,

plötzlich Eure Cymbeln tönen,

oder auf weissen, springenden Wassern, über die höchsten, steilsten Cypressen

Eure goldnen Bälle tanzen.

Aus ihren Augen, aus ihren Fäusten,

aus ihren lautlos geduckten Schultern

zittert die Gier:

wie Bestien über Eure Leiber stürzen,

johlend nach Euern Herzen graben,

durch schwarze, rauchende Tempeltrümmer Eure gestürzten Götter schleifen!

Meine Krallen glimmen, meine Augen glühn ...

 

Die Diele knackt!

Mir graut

vor meinem Schatten.

Es hat einen dicken Krötenbauch,

Geierkrallen,

lange, schlenkernde Affenarme und Schweinsaugen ...

Ich leuchte in alle Winkel.

Staub,

abgeblätterter Kalk, tote Fliegen und Spinnweben.

Wie ich mich endlich unter das Bett bücke,

die Haare sträuben sich mir, das Licht schlottert,

in eine Ecke geklemmt,

sitzt das Biest da.

Aus seinem Maul,

halb zerkaut,

hängt mein Pantoffel.

Entsetzt

stieren wir uns an.

Leise,

hin und her,

ringelt sich sein Rattenschwanz.

 

In rote Fixsternwälder, die verbluten,

peitsch ich mein Flügelross.

Durch!

Hinter zerfetzten Planetensystemen, hinter vergletscherten Ursonnen,

hinter Wüsten aus Nacht und Nichts

wachsen schimmernd Neue Welten - Trillionen Crocusblüten!



(* 1863-04-26, † 1929-10-26)



Weitere gute Gedichte von Arno Holz zum Lesen.