Frühlingsgedanken


(Geschrieben auf dem Cobenzlberge.)

 

Fern der Stadt, auf einem Hügel, saß ich unterm grünen Baum,

Der mir säuselnd um die Schläfen spielte, wie ein Frühlingstraum,

Frei die Blicke ließ ich schweifen über Felder, Höh’n und Wald,

Bis die fernen, blauen Berge ihnen höhnend riefen: Halt!

 

Sieh, da nahmen die Gedanken ihren leichten Wanderstab,

Schritten über jene Berge, – jenseits in das Thal hinab, –

Schritten fort unaufgehalten, über neue Bergeswand,

Und sie sah’n, so weit sie wallten, ringsum schönes reiches Land!

 

Herrscher dieses schönen Landes, säßest du statt meiner hier!

Säuselten, wie Frühlingsträume, um das Haupt die Zweige dir!

Riefst du in das Thal hernieder, wie ich’s gerne rufen mag:

Oesterreich, du Land des Ostens, auch in dir nun werd’ es Tag! –

 

Vaterland, von Gott gesegnet also reich mit jeder Lust,

Daß für dich der Ueberreiche andre fast enterben mußt’!

O entrolle mir die Bücher deiner Thaten, inhaltschwer!

Solche Saat muß steh’n voll Garben, voll von Perlen solch ein Meer:

 

Wohl hast du dir große Thaten – deiner Söhne Stolz und Muth! –

Wie gediegnes Gold gesammelt, schreitend durch der Zeiten Fluth?

Sicherlich baust du am Dome hoher Kunst und Wissenschaft,

Daß er deiner würdig rage, rüstig fort mit Jugendkraft?

 

Wo das Blut floß deines Volkes, standen in der Schlachtenreih’

Recht und Licht und Freiheit immer dir als Waffenbrüder bei?

Stets war deiner Kämpfe Losung edel und gerecht gewiß? –

Mir im Aug’ steht eine Thräne! – ach, die Antwort ist nicht süß! –

 

Ebnes Land liegt mir zu Füßen, wie ein stilles grünes Meer,

Weit hinaus, wie Möven, kreisen meine Blicke drüber her;

Gleichwie schmale lichte Furchen, die durchs Meer die Schiffe zieh’n,

Schlängeln Donaustrom und Straßen sich als Silberstreifen hin.

 

Rings empor als inselreicher, stolzer Archipelagus

Ragen Dörfer, Schlösser, Städte, blinkend wie aus Silberguß,

Doch vor allen groß und mächtig ragt ein Eiland aus dem Meer,

Dem als Tannenwald die Stirne krönt gewalt’ger Thürme Heer.

 

Wien, du bist’s, Stadt der Cäsaren! – Doch wie dünkst du jetzt mir klein!

Selbst ein Meer sonst meinem Auge, schrumpfst du nun zur Insel ein!

Riesenwerk, dran müd’ sich bauend, rastlos ein Jahrtausend stand,

Sieh nun deine ganze Größe leicht bedeckt von meiner Hand!

 

Dreimal hunderttausend Brüder träumen dort des Lebens Traum!

Dreimal hunderttausend Herzen schlagen in dem engen Raum!

Draus Entwürfe, weltbewegend, erderschütternd, sind gewallt!

Draus gewandelt manche Botschaft, deren Klang die Welt durchhallt!

 

Aber waren’s stets Entwürfe, die das Recht, das Licht gebar?

Schwangen das Panier der Wahrheit jene Boten immerdar? –

Dir, mein Herz, so heimatglühend, fällt die Antwort wohl nicht schwer?

Wahrlich, ich versteh’ dein Schweigen, ach, und frage nimmermehr!

 

Prangend über jedem Stadtthor steh’n die Wappen unsers Land’s,

Flinke Lerchen, stolze Adler, in Metall und Marmorglanz;

O ihr mächt’gen, weisen Männer, fiel’ es euch doch endlich ein,

Lerch’ und Adler auch zu pflanzen in die Herzen tief hinein!

 

Schickt hinaus dann eure Boten; da wird rings es leicht erkannt,

Daß sie aus der Lerchenheimat, aus dem Adlerhorst entsandt!

Ihre Botschaft wird wie Lerchen sich der Morgenröthe freu’n,

Und wie freie Königsadler nicht das Licht der Sonne scheu’n.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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