Die Einsamen


Einsam stand ein grauer Felsen

Mitten in das Meer gesät;

Fast schon wollt’ ich ihn beneiden,

Daß er einsam, fest doch steht.

 

Einsam auf dem grauen Felsen

Grünt’ ein Baum, gar stolz und kühn;

Fast schien mir der Baum zu loben,

Daß er einsam, doch so grün.

 

Einsam kreist’ um Baum und Felsen

Eine Lerche leichtbeschwingt;

Fast wollt’ ich sie glücklich preisen,

Daß sie noch so fröhlich singt.

 

Aber Felsen, Baum und Lerche,

Jetzt beneid’ ich euch nicht sehr!

Denn es warf ein Stoß des Windes

Schnell den einzlen Baum ins Meer.

 

Müd’ ins Wasser sank die Lerche,

Eh’ die Schwestern sie erreicht;

Und die Fluthen unterwühlten

Selbst den Fels, den einzlen, leicht!

 

Ach, da mußt’ ich euer denken,

Dichter meines Vaterlands,

Da ihr einzeln, fern den Brüdern,

Wähnt zu pflücken euren Kranz.

 

Gegen Nord und Süd und Osten

Steht ihr sehnend hingewandt,

Ach, doch Manche mit dem Rücken

Gen das eigne Vaterland!

 

Einzle Felsen nur im Meere,

Einzle Bäume seid ihr nur,

Einzle Lerchen, einsam singend

In dem öden Luftazur.

 

Trotz’ge Felsen, rückt zusammen!

Irre Lerchen, sammelt euch!

Stolze Bäum’, umrankt, umschlinget

Euch in Zweig’ und Wurzeln reich!

 

Laßt uns sein ein Wall von Felsen,

Der als Damm, gar stolz und fest,

Von dem Meere der Gemeinheit

Sich nicht unterwühlen läßt!

 

Laßt uns sein ein Wald von Bäumen,

Im Vereine doppelt grün;

Ueber den verschlung’nen Wipfeln

Rauscht der Sturm ohnmächtig hin!

 

Laßt uns sein ein Chor von Lerchen,

O dann klingt er doppelt schön

Der Gesang von hundert Kehlen,

Wirbelnd in die Sonnenhöhn!



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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