Der Lesehalle deutscher Studenten in Prag, zur 25jährigen Feier ihres Bestehens


Pfingsten 1873.

 

Glückauf! Die Stufen sind erklommen

Zum ersten Halt, zur schönen Rast!

Die Eurem Zug vorangeglommen,

Die Leuchte flammt noch unverblaßt;

Sie ist im Aeltsten wie im Jüngsten

Zur Gluth des Einen Geists entbrannt,

Der einst, ein neues andres Pfingsten,

Den Hader Babels siegreich bannt.

 

Wenn heut die Jubelbecher klingen,

Wenn heut die Bundesfahnen wehn,

Nachhallen rings wird Euer Singen

Und jedes Herz auch wird′s verstehn.

Doch von der Warte, die erklommen,

O blickt aufs bunte Feld der Zeit,

Seht die da gingen, die da kommen,

Die Wandrer vor Euch weit, gar weit!

 

Das junge Völklein Eurer Ahnen,

Die Tausend′, die sich selbst verbannt,

Sie nahmen auf des Elends Bahnen

Im Busen mit solch leuchtend Pfand;

Drum, wo sich ihre Pfade wanden,

Zog Lichtgeleis die helle Spur,

Und wo ihr neues Heim sie fanden

Glühn Ruhmessterne im Azur.

 

Die spätre Schaar an ihrer Stelle,

Die rüstig zu dem Bauwerk stand,

Sie führt′ in einer Hand die Kelle,

Das Schwert doch in der andern Hand.

Zum mächt′gen Quadernbau im Grunde

Wahrzeichen legt′ sie in den Stein:

Gepräg′ vollgültig noch zur Stunde,

Den Freibrief für ein stolzes Sein.

 

Sie baut′ in deutscher Art und Sitte;

Der Mörtel, erst noch mild und weich,

Erhartet bald zum festen Kitte,

Der aufrecht hält den Bau: dieß Reich. –

So baut auch Ihr! Denn nicht verderbe

Der alte Feind das Werk aufs Neu;

Der deutschen Väter heilig Erbe

Behüten wollt Ihr wach und treu.

 

Ein Erbe, nicht blos Einem Stamme,

Der ganzen Menschheit kostbar Gut,

Des Völkerbundes Oriflamme,

Nur anvertraut der treu′sten Hut.

Mit Allen wollt Ihr freudig theilen

Das lautre Gold, wonach Ihr grabt;

Das Weh auch Andrer soll er heilen

Der Jungborn, der Euch stählt und labt.

 

Deutsch sein heißt: offne Freundesarme

Für alle Menschheit ausgespannt,

Im Herzen doch die ewigwarme,

Die einz′ge Liebe: Vaterland!

Deutsch sein heißt: sinnen, ringen, schaffen,

Gedanken sä′n, nach Sternen spähn

Und Blumen ziehn, – doch stets in Waffen

Für das bedrohte Eigen stehn.

 

Im Zweifel stark, im Glauben schwächer,

Festhalten, was als wahr erfaßt,

Gebeugtem Recht erstehn als Rächer,

Zur That voll Kraft, doch ohne Hast;

Nicht blind auf stolze Größen bauen,

Nur hoch die ehren, die erprobt;

Erst strenges Prüfen, dann Vertrauen,

Ist deutsche Weise hochgelobt.

 

Drum in den Waffen, die Euch schmücken,

Die schärfer doch als schärfster Stahl,

Seh′ ich das Leuchten blos; es zücken

Die Musen nur des Lichtes Strahl.

Die blanke Wölbung Eurer Schilder

Sie wird ein aufgeschlag′nes Buch,

In das die Schönheit ihre Bilder,

Die Wahrheit eingrub ihren Spruch.

 

Dem Wald verkündet Wipfelsausen

Im Morgenhauch den nahen Tag;

So zieht durch Völkerstämm′ ein Brausen

Und weckt, was noch im Schlummer lag.

Der Priester grüßt die heil′gen Brode

Schon in der grünend weh′nden Saat;

Es krönt manch Festkranz heut als Bote

Schon künft′ge, kranzeswürd′ge That.

 

So zieht denn ins Jahrhundert weiter,

Der Väter, wie der Enkel werth,

Bauleute Ihr und Glaubensstreiter,

Friedsinnend und doch kampfbewehrt.

Hinan! Voran! so gehn die Bahnen,

Die Euch der Gott im Busen weist,

Der deutsche Geist rausch′ in den Fahnen,

Denn er auch ist ein heil′ger Geist.

 

Anastasius Grün, 1873



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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