Der gefangene Räuber


Von Sabinerbergen nieder

Wallt das braune Räuberweib,

Schmiegend ihres Knäbleins Glieder

Sorglich fest an ihren Leib.

 

Wie sie tritt durch Roma’s Pforte,

Glocken, Trommeln und Gebet!

Ist’s ein Fest, ist Markt am Orte?

Beides hier gar nahe steht!

 

Feierklänge von Sankt Peter!

Dudelsack hier schnarrend grell!

Possen reißen heil’ge Väter,

Salbung predigt Pulcinell.

 

Affen, Charlatane, Springer,

Auf dem Seile Gauklertritt!

Jetzt an fremder Bestien Zwinger

Lenkt das Räuberweib den Schritt.

 

Ab und auf in wildem Satze

Tobt ein Königstiger hier,

An den Käfig schlägt die Tatze,

Glühend flammt das Aug’ dem Thier.

 

»Mutter, warum sperrt das gute,

Schöne Thier so fest man ein?«

»Kind, weil’s durstig lechzt nach Blute,

Weil’s unbändig, wild im Frei’n.«

 

Ruhig nebendran im Bauer

Sitzt ein fremdes Täublein zart,

Senkt das Haupt in milder Trauer

Ins Gefieder weißbehaart.

 

»Mutter, warum schließt dieß gute,

Fromme Vöglein auch man ein?

Dieses lechzt doch nicht nach Blute?«

»Kind, weil’s trägt zwei Flügelein.«

 

Kapitols Steintreppen stiegen

Sie empor im Menschenstrom,

Wo gesehn nach Kränzen fliegen

Seine alte Kraft einst Rom!

 

Wo es jetzt auch seine echte

Ungeschwächte, rauhe Kraft,

Doch gefahn, in Kerkernächte,

Seine Räuber, hingeschafft!

 

Seht dort der Gefangnen Einen

Rasch, am Fenster, pfeilgeschwind!

Zu ihm hebt das Weib den Kleinen:

»Siehe deinen Vater, Kind!«

 

Auf das Kind durch Eisenstangen

Blickt der Mann so blaß und mild,

Herzt es lachend, ob die Wangen

Thränenfluth auch überquillt;

 

Ueberdeckt ihm ganz mit Küssen

Zärtlich Wang’ und Aeugelein;

Und das Kind hat denken müssen

Jener Taube, fromm und rein.

 

Nun sie Lebewohl ihm sagen,

Sträubt sein Haar sich auf in Wuth,

Seine Fäust’ ans Gitter schlagen

Und sein Auge rollt in Gluth!

 

Doch die Mutter fest umfangend,

Flieht das Kind dieß grause Bild;

Und gedenken muß es bangend

Jenes Königstigers wild.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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