Der Friedhof im Gebirge


1.

 

Friedhof der Alpen, deine Hügel schwellen

So friedensgrün am Tannenwald vor mir,

Als schlüge seine leisen grünen Wellen

Der stille Ozean des Todes hier.

 

Nicht hast du nach der Städter Art umzogen

Mit blanken Mauern rings den Wellenschwall!

Die sanften Hügel, als empörte Wogen,

Durchbrächen, überfluthend, bald den Wall!

 

Auf ihnen wogen nicht im fahlen Schimmer

Steinkreuze, Säulen, Katafalke fort,

Und Urnen, Pyramiden, gleichwie Trümmer

Vom Wrack des Lebensschiffs, gestrandet dort!

 

Nein, sie verspülen sanft und frei! – Entstiegen

Ist draus ein Kreuz allein, kunstlos und schlicht,

Als Leuchtthurm wohl, der, wenn die Sterne schwiegen,

Auf diese dunkle See ausgießt sein Licht.

 

Der Vollmond quillt durch dunkle Tannenreiser

Und mündet seinen Lichtquell wellenwärts.

Die Waldeswipfel flüstern immer leiser,

Und stiller Meeresfahrt gedenkt das Herz.

 

Du träumst, dein Haupt verhüllt in Silberschleiern,

Und ahnst, o Tannenbaum, wie du als Kahn

Einst wirst hinaus ein Kind des Friedens steuern

In diesen stillen grünen Ozean!

 

2.

 

O Tod, du warst, Ungleiches auszugleichen,

Doch allzuhart und gar zu eifrig hier!

Ach, keine Inschrift und kein Liebeszeichen,

Nur leises Ahnen nennt die Schläfer mir!

 

Ein Hirte wohl ruht hier im duft’gen Rasen:

Ich seh’ ja frei um seinen grünen Rain

Die Alpenheerde in den Kräutern grasen;

Und wo die Heerde, muß der Hirte sein!

 

Ein Jäger träumt da unter kühler Decke:

Mir sagt’s das Rehlein, weidend hier bei Nacht,

Als ob es sanft die todte Hand ihm lecke;

Wem wäre sonst so milde Rach’ erdacht?

 

Ein Schnitter schlummert dort am fernen Saume:

Ich seh’ es an der Blumen selt’nem Tanz,

Als wühle seine Hand darin im Traume,

Zu flechten sie zum heit’ren Erntekranz!

 

Doch will zum Grab des Lieben Liebe wandern,

Auf welches ströme sie den Thränenzoll?

Nun, was verschlägt’s, erquickt er einen Andern,

Zu dem vielleicht noch keine Zähre quoll?!

 

O Trauer, suchst du nur nach Einer Welle?

Und ist das ganze dunkle Meer doch dein!

Dünkt dir ein einzig Sternlein tröstend helle?

Dein soll der ganze Strahlenhimmel sein!

 

O Liebe, spähst du nur nach Einem Halme?

Die ganze Erde fiel dir ja zum Loos!

Verletze nicht die Tanne ob der Palme,

Nicht ob des Blumenstrauchs das arme Moos!



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



Weitere gute Gedichte von Anastasius Grün zum Lesen.