Das Wiegenfest zu Gent


Es steht eine goldene Wiege

Am Fuß des Herrscherthrons,

Der Fürst beschaut sich die Züge

Des neugebornen Sohns.

 

Rings an des Thrones Wänden,

Den Mund an Wünschen reich,

Stehn, nicht mit leeren Händen,

Die Großen in dem Reich.

 

Frau Margareth’ die Holde

Bracht’ ihr Geschenk nun dar:

Ein Kindlein war’s von Golde

Gar künstlich, wunderbar.

 

Es ruht in des Kindes Händen

Von klarem Kristalle fein

Ein Kelch voll schimmernder Spenden

An Perlen und Edelstein.

 

Und als mit ihrer Gabe

Sie trat zum Wieglein vor,

Da sah wohl auch der Knabe

Die erste Rose in Flor.

 

Sie sprach: »O wahre immer

Den Kindersinn so rein,

Der Erdengüter Schimmer

Bleibt dir dein Spiel und Schein!«

 

Drauf trat der Wieg’ entgegen

Von Bergen der Dynast,

Er bracht’ einen güldnen Degen,

Drein manch Juwel gefaßt;

 

Auch eine Schärpe von Seide,

Darauf ein Phönix von Gold;

Zu all’ dem goldnen Geschmeide

Noch eine Lehre von Gold:

 

»Sei stark! Dich schützend schwing

Die Kraft ihr Schwert von Erz!

Sei mild! Die Milde umschlinge

Als weiches Band dein Herz!«

 

Dann trug zwei Himmelsgloben

Der Astronom herein,

Drauf Sonn’ und Gestirn erhoben

Aus Schmelz und buntem Gestein:

 

»Nach oben schaue gerne,

Blick’ oft zum Licht empor,

Dann nehmen wohl auch die Sterne

Dich auf in ihren Chor!«

 

Es kam ein Prälat gegangen,

Der eine Bibel trug

Mit diamantnen Spangen

Und goldnem Deckel und Bug:

 

»Willst du in Schlummer dich neigen,

Das süßeste Kissen ist hie!

Willst in den Himmel du steigen,

Die beste Staffel ist die!«

 

Stadt Gent, die sandt’ als Spende

Ein Schiff von selt’nem Bau,

Von Silber waren die Wände,

Die Masten, Segel und Tau’.

 

Und auf der silbernen Flagge,

Da stand in Gold dieß Wort:

»Vertraue, hoffe, wage,

Dann steuert dich Glück zum Port!«

 

Drauf nahte Heinz von Yssel,

Das war des Herzogs Narr,

Der bracht’ auf großer Schüssel

Einen kleinen Kirschkern dar:

 

»Ein Samenkern in der Erden,

Dir, Wiegenkind, ist er gleich!

Aus beiden kann noch was werden,

Die Keime ruhn in euch.

 

Ich will in die Erd’ ihn bauen,

Zum Denkmal dir geweiht!

Einst magst du kommen und schauen,

Wer besser von euch gedeiht?

 

Und wird er dir Frucht einst reichen,

O Knäblein, werfe nicht

Dann mir und meinesgleichen

Die Kerne ins Gesicht!«

 

Er pflanzt’ im Garten daneben

Den Kern gar sorgsam ein;

Das freilich konnt’ er nicht geben,

Was ihm noch fehlt zum Gedeihn:

 

Der Erde warmen Segen,

Thauperlen spät und früh,

Und Sonnenschein und Regen!

Die kamen, man weiß nicht wie?

 

Noch spendeten viel die Gäste,

Längst schlief das Kind schon ein;

Jedoch der Gaben beste

Die konnten sie ihm nicht weihn:

 

Dem Herzen Lieb’ und Treue

Und Kraft für manche Last,

Dem Geiste Licht und Weihe,

Wohl kamen im Schlaf sie fast!

 

Der Keim schoß auf zum Baume,

Geschmückt mit Laub und Frucht,

In dessen schattigem Raume

Sich Schirm der Waller sucht.

 

Das Kind, das die Wiege hüllte,

Ein Mann ward’s, Fürst und Held,

Der fünfte Karl erfüllte

Mit seinem Namen die Welt.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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