Das Kreuz des Erschlagenen


1.

 

Wieder seh’ ein Kreuz ich ragen,

– Ach, ich sah schon ihrer viel! –

Wo ein Wandersmann, erschlagen,

Unterm Dolch des Meuchlers fiel!

 

Nacktes Kreuz, er sah dich sprossen

Noch als grünen schlanken Baum,

Und von deinem Duft umflossen

Schritt er hin im Frühlingstraum.

 

Du allein sahst ihn verbluten,

Einsam, fremd und unbekannt

Und auf deinen Blüthen ruhten

Seine Blick’ im Tod gebannt.

 

Und du selbst, gefällt, erschlagen,

Hütest jetzt den Schreckensort;

Als ein Denkmal mußt du ragen

Für so grausen Doppelmord.

 

Nur der Vogel, der im Wipfel

Deines Laubs dich preisend sang,

Auf des Kreuzes nacktem Gipfel

Klagt dein Todtenlied er bang.

 

Und ein Rosenstrauch, als solle

Schmücken er dieß kahle Holz,

Klimmt hinan und pflanzt die volle

Ros’ am Kreuzesgiebel stolz.

 

Ein Orangenbaum, als wolle

Bergen er dieß Kreuz der Schmach,

Hüllt es in das goldfruchtvolle,

Silberblüthenreiche Dach.

 

Doch es denken fern die Lieben

Noch des Manns, der sie verließ,

Als es ihn nach Süd getrieben

In dieß Blüthenparadies.

 

Und den Längstverschollnen sehen

Sie in blühender Gestalt

Fern noch durch die Rosen gehen,

Schlummernd ruhn im Lorberwald.

 

2.

 

Liegst, Italia, du schöne,

Nicht auch todt schon manch ein Jahr,

Von dem Dolch der eignen Söhne,

Von dem Schwert der Fremdenschaar?

 

Drum, Erschlagne, möcht’ ich pflanzen

Dir ein riesig Kreuz von Stein;

Schlicht gehaun müßt’s aus dem ganzen

Block carrar’schen Marmors sein.

 

Und es dien’ zum Sarkophage

Apennins Gesteinkoloß,

Drauf das Kreuz der Trauer rage

Weithin, einsam, weiß und groß!

 

Auf dem höchsten Grat der Hügel,

Wo Ein Blick zugleich erschaut

Mit des Mittelmeeres Spiegel

Adria, die Dogenbraut!

 

Heult dein Leichenlied das eine

Der zwei Meere sturmeswild,

Mag das zweit’ im Widerscheine

Wiegen sanft des Kreuzes Bild!

 

Nur der Adler, der in Spalten

Einst des Marmorbruchs gehaust,

Fliegt empor dann, Rast zu halten

Hoch am Kreuze, sturmumbraust.

 

Und die Sonne, die im Osten

Blüht als Rosenstrauch hinauf,

Klimmt hinan des Kreuzes Pfosten,

Schwebt als volle Ros’ am Knauf.

 

Und verhüllt die Schmach zu hüten,

Neigt sich drauf der Baum der Nacht;

Aus der Sterne Silberblüthen

Mond, die Goldorange, lacht.

 

Doch wir, die dich lieben, sehen

Deine blühende Gestalt

Noch in deinen Rosen stehen,

Schlummernd ruhn im Lorberwald.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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