Begrüßung des Meeres


Unermeßlich und unendlich,

Glänzend, ruhig, ahnungschwer,

Liegst du vor mir ausgebreitet,

Altes, heil’ges, ew’ges Meer!

 

Soll ich dich mit Thränen grüßen,

Wie die Wehmuth sie vergießt,

Wenn sie trauernd auf dem Friedhof

Manch ein theures Grab begrüßt?

 

Denn ein großer, stiller Friedhof,

Eine weite Gruft bist du,

Manches Leben, manche Hoffnung

Deckst du kalt und fühllos zu;

 

Keinen Grabstein wahrst du ihnen,

Nicht ein Kreuzlein, schlicht und schmal,

Nur am Strande wandelt weinend

Manch ein lebend Trauermal.

 

Soll ich dich mit Jubel grüßen,

Jubel, wie ihn Freude zollt,

Wenn ein weiter, reicher Garten

Ihrem Blick sich aufgerollt?

 

Denn ein unermeß’ner Garten,

Eine reiche Flur bist du,

Edle Keime deckt und Schätze

Dein kristallner Busen zu.

 

Wie des Gartens üpp’ge Wiesen

Ist dein Plan auch glatt und grün,

Perlen und Korallenhaine

Sind die Blumen, die dir blühn.

 

Wie im Garten stille Wandler

Ziehn die Schiffe durch das Meer,

Schätze fordernd, Schätze bringend,

Grüßend, hoffend, hin und her. –

 

Sollen Thränen, soll mein Jubel

Dich begrüßen, Ozean?

Nicht’ger Zweifel, eitle Frage,

Da ich doch nicht wählen kann!

 

Da doch auch der höchste Jubel

Mir vom Aug’ als Thräne rollt,

So wie Abendschein und Frühroth

Stets nur Thau den Bäumen zollt.

 

Zu dem Herrn empor mit Thränen

War mein Aug’ im Dom gewandt;

Und mit Thränen grüßt’ ich wieder

Jüngst mein schönes Vaterland;

 

Weinend öffnet’ ich die Arme,

Als ich der Geliebten nah;

Weinend kniet’ ich auf den Höhen,

Wo ich dich zuerst ersah.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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