Baumpredigt


Um Mitternacht, wenn Schweigen rings,

Beginnt’s durch Waldesräume,

Und wo sonst Büsch’ und Bäume stehn,

Zu flüstern, rascheln und zu wehn,

Denn Zwiesprach halten die Bäume.

 

Der Rosenbaum loht lustig auf,

Duft raucht aus seinen Gluthen:

»Ein Rosenleben reicht nicht weit,

Drum soll’s, je kürzer seine Zeit,

So voller, heller verbluten!«

 

Die Esche spricht: »Gesunkner Tag,

Mich täuscht nicht Glanz und Flittern!

Dein Sonnenstrahl ist Todesstahl,

Gezückt aufs Rosenherz zumal,

Doch auch wir Andern zittern!«

 

Die schlanke Pappel spricht, und hält

Zum Himmel die Arm’ erhoben:

»Dort strömt ein lichter Siegesquell,

Der rauscht so süß und glänzt so hell,

Drum wall’ ich sehnend nach oben!«

 

Die Weide blickt zur Erd’ und spricht:

»O daß mein Arm dich umwinde,

Mein wallend Haar neig’ ich zu dir,

Drein flechte deine Blumen mir,

Wie Mütterlein dem Kinde.«

 

Drauf seufzt der reiche Pflaumenbaum:

»Ach, meine Füll’ erdrückt mich!

Nehmt doch die Last vom Rücken mein!

Nicht trag’ ich sie für mich allein;

Was ihr mir raubt, erquickt mich!«

 

Es spricht die Tanne guten Muths:

»Ob auch an Blüthen ich darbe,

Mein Reichthum ist Beständigkeit;

Ob Sonne scheint, ob’s stürmt und schneit,

Nie ändr’ ich meine Farbe!«

 

Der hohe stolze Eichbaum spricht:

»Ich zittre vor Gottes Blitzen!

Kein Sturm ist mich zu beugen stark,

Kraft ist mein Stamm, und Kraft mein Mark,

Ihr Schwächern, euch will ich schützen!«

 

Die Epheuranke thät an ihn

Sich inniger nun fügen:

»Wer für sich selbst zu schwach und klein,

Und wer nicht gerne steht allein,

Mag an den Freund sich schmiegen!«

 

Drauf sprachen sie so Manches noch,

Ich hab’ es halb vergessen.

Noch flüsterte manch’ heimlich Wort,

Es schwiegen nur am Grabe dort

Die trauernden Cypressen.

 

O daß die leisen Sprüchlein all’

Ein Menschenherz doch trafen!

Was Wunder, wenn sie’s trafen nicht?

Die Bäume pred’gen beim Sternenlicht,

Da müssen wir ja schlafen.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



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