An Jakob Grimm


(Neujahr 1838.)

 

Dahin ist längst der schöne Traum Deutschlands, des einen, ganzen,

Wir sehn des Kaiseradlers Flaum zersetzt im Winde tanzen,

Seit Deutschlands Zepter barst, und sie um des Reichsapfels Schnitten

Wie hungernd Bettelvolk und wie genäsch’ge Knaben stritten.

 

Das ist dahin! Doch hat die Zeit der Wirrung nicht vernichtet

Germania’s Geist; der hat ins Herz der Edlen sich geflüchtet,

– Wie Karol’s Ring der Treue tief versenkt im See von Aachen, –

Drin träumt er nun Vergangenheit und ahnt ein schön Erwachen.

 

Da schlief er zwar, doch traun, er lebt! er weiß, daß ihn zu schützen

Des Busens Bollwerk nicht erbebt, des Worts Karthaunen blitzen,

Daß Eine Burg ihm ragt noch fest: der deutschen Sprache Einheit,

Ein Banner sich nicht beugen läßt: der deutschen Treue Reinheit! –

 

Da wußten sie, es sitz’ ein Mann in Göttingen, der stiere

In alten Pergamentenwust, in gothisches Geschmiere;

Er dauert sie, daß Urweltstaub ihm so die Lungen beize,

Und die verblaßte Ahnenschrift die Augen überreize.

 

Sie ahnten nicht, daß an dem Tag der Prüfung und Gefahren

Der bleichen Lettern Schwarm um ihn als Mannenvolk in Schaaren,

Ein Heer, gepanzert, kerngesund vom Scheitel bis zur Zehe,

Jahrhundertstaub sich schüttelnd von den Sohlen, einst erstehe!

 

Sie ahnten nicht, vergilbt Papier werd’ in der Hand des Treuen

Urkunde deutscher Ehre, sich so blank und rein erneuen,

Ein Dokument mit goldner Schrift und marmorschweren Blättern,

Kein Spiel des Winds, der Albions Prachtflotten mag zerschmettern!

 

Sie ahnten nicht, daß einst ein Paar von kleinen Menschenlippen,

– Befugt nur von den Herrn der Welt zu Kuß und Humpennippen,

Und etwa noch zum Meineidspiel, – ein Wort aussprechen möge,

Das dröhnend, nachgehallt vom Belt bis an die Alpen flöge!

 

O Preis und Ruhm der Wissenschaft! Es gibt der sonst so armen

Der Thron selbst heut als Ehrenwacht Dragoner und Gendarmen!

Fürwahr, wo solche Männer fortverbannt, landflüchtig reisen,

Müßt strafend ihr nicht aus dem Land, nein, in das Land verweisen!

 

Du aber, Mann der Treu’ und Ehr’, den wir so herrlich tragen

Das Banner deutschen Wortes sahn, du weißt aus alten Sagen:

Wenn wo ein Heer feldflüchtig ist, versprengt auf irren Wegen,

Ruht auf der letzten Fahne noch ein zaubervoller Segen;

 

Und wer sie trägt, deß Haupt wird sie als Baldachin umwiegen,

Ein Ehrenmantel wird sie stolz um seine Schultern fliegen,

Sie wird, thut’s Noth, ihn schützend auch als goldne Wolk’ umschweben,

Und ihn, verschleiert all in Glanz, unwürd’gem Volk entheben.

 

Getrost! Noch steht die schönste Burg, der deutschen Sprache Veste:

O daß sie, deine Wartburg, dich bewirth’ und schirm’ aufs Beste!

Du rufst von ihren Zinnen dann – wer bricht die je in Trümmer?

»Ob Alles auch verloren sei, ist’s doch die Ehre nimmer!«

 

Beklagen lernt’ ich heut es erst, daß meine Jugend ferne!

Zu Göttingen, der guten Stadt, wär’ ich Studiosus gerne,

Vor deinem Haus ein Ständchen dir Guitarrenklangs zu schüttern

Daß nicht die Scheiben nur davon, auch Herzen sollten zittern;

 

Daß bis Hannover hin der Sang sich schwänge wundertönig

Ans Ohr des Herzogs Cumberland, der jetzt Hannovers König;

Versteht er auch des Deutschen Lied von deutscher Ehre schwerlich,

Wird sich wohl Einer finden dort, ihm’s zu verwälschen ehrlich.



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



Weitere gute Gedichte von Anastasius Grün zum Lesen.