Am Rhein


Das sind die Fluren gottgesegnet,

Das ist der alte deutsche Rhein!

Von der Gefährten Lippen regnet

Kein andrer Reim als Wein und Wein!

 

Wie kommt’s, daß diesen nun ich fände,

Den härt’sten von den Reimen all?

Daß ich vom grünen Rebgelände

Rückschau’ zum grauen Festungswall?

 

Dort mußt’ ich blüh’nde Rosenwangen

Umrahmt von Kerkergittern sehn,

Dort sah aus schwarzen Eisenstangen

Ein blondes Jünglingshaupt ich spähn!

 

Wohl meint’ ich, daß am Fensterrande

Ein süßer Blumenstrauß erblüht,

Ich ahnte nicht, daß hier zu Lande

In Kerkern Jugend man erzieht!

 

Wo Fesseln Jünglingshände drücken,

Muß schlimm es mit den Alten stehn!

Nach deren Armen möcht’ ich blicken,

Ob Kettenspur nicht dran zu sehn?

 

Was hat das junge Volk verbrochen?

Sein Fehler selbst ist schönheitreich!

Vulkanen gleich, die Laven kochen,

Sturzbächen, alpentquollnen, gleich.

 

Staunt im Vesuve Gottes Wunder,

Pflanzt dran der süßen Reben Zaun!

Doch wer hieß euch, so nah dem Zunder,

Rings eure morschen Hütten baun?

 

Sonnt euch in Sturzbachs Farbenbogen!

Doch euch zum Bade dient er schlecht;

Vielleicht daß einst im Thal die Wogen

Zu Bad und Rädertrieb gerecht!

 

Kann »Freiheit, Vaterland!« euch schrecken,

Gejauchzt aus voller Jünglingsbrust?

Der Riesengeist ist’s, den zu wecken,

Doch nicht zu bannen ihr gewußt!

 

Traun, wo die Jugend will entwenden

Der Alten Degen, scharf und blank,

Wankt, statt des Schwerts, in greisen Händen

Gewiß ein Binsenzepter schwank!

 

Und wo die Jugend, Rath zu halten,

Sich drängt zum Senatorenstuhl,

Da machten sich’s gewiß die Alten

Vorerst bequem im Lotterpfuhl!

 

Und wenn von steilen Bergesspitzen

Der Jugend Wort das Volk ermannt,

Verkrochen längst in Thalespfützen

Die Alten sich vorm Sonnenbrand.

 

Drum scheint’s, daß für der Alten Sünden

Die Jugend fromm die Kette nahm:

Im Kerker müßten Greis’ erblinden,

Das Erz bräch’ ihre Hände lahm!

 

Drum tragt, ihr Jüngling’, ohne Schelten

Das Eisenband aus Kindespflicht!

In Wolken lebt kein Gott, vergelten

Einst süß die eignen Söhn’ euch’s nicht!



(* 1808-04-11, † 1876-09-12)



Weitere gute Gedichte von Anastasius Grün zum Lesen.