Eine Landmaus hatte ihre Freundin,
eine Stadtmaus,
zu sich eingeladen und empfing sie
in ihrer sehr bescheidenen Wohnung
aufs freundlichste.
Um ihren Mangel der sehr verwöhnten
Städterin nicht merken zu lassen,
hatte sie alles, was das Landleben Gutes bot,
herbeigeschafft und aufgetischt.
Da waren frische Erbsen,
getrocknete Traubenkerne, Hafer
und auch ein Stückchen Speck,
wovon die Landmaus
nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten aß.
Mit großer Genugtuung
überschaute sie ihre Tafel
und unterließ nicht,
ihrer Freundin unablässig zuzusprechen.
Aber die Stadtmaus,
durch die vielen gewohnten Leckereien verwöhnt,
beroch und benagte die Speisen nur sehr wenig
und stellte sich der Höflichkeit halber so,
als wenn es ihr schmecke,
konnte aber doch nicht umhin
die Gastgeberin merken zu lassen,
daß alles sehr wenig nach ihrem Geschmack gewesen sei.
"Du bist eine recht große Törin",
sprach sie zu ihr,
"daß du hier so kümmerlich dein Leben fristest,
während du es in der Stadt
so glänzend führen könntest wie ich.
Gehe mit mir in die Stadt unter Menschen,
dort hast du Vergnügen und Überfluß."
Die Landmaus war bald entschlossen
und machte sich zum Mitgehen bereit.
Schnell hatten sie die Stadt erreicht,
und die Städterin führte sie nun in einen Palast,
in welchem sie sich hauptsächlich aufzuhalten pflegte;
sie gingen in den Speisesaal,
wo sie noch die Überbleibsel
eines herrlichen Abendschmauses vorfanden.
Die Stadtmaus führte ihre Freundin nun
zu einem prachtvollen, mit Damast überzogenen Sessel,
bat sie, Platz zu nehmen,
und legte ihr von den leckeren Speisen vor.
Lange nötigen ließ sich die Landmaus nicht,
sondern verschlang mit Heißhunger
die ihr dargereichten Leckerbissen.
Ganz entzückt war sie davon
und wollte eben in Lobsprüche ausbrechen,
als sich plötzlich die Flügeltüren öffneten
und eine Schar Diener hereinstürzte,
um die Reste des Mahles zu verzehren.
Bestürzt und zitternd flohen beide Freundinnen,
und die Landmaus, unbekannt in dem großen Hause,
rettete sich noch mit Mühe in eine Ecke der Stube.
Kaum hatte sich die Dienerschaft entfernt,
als sie auch schon wieder hervorkroch
und noch vor Schrecken zitternd zu ihrer Freundin sprach:
"Lebe wohl! Einmal und nie wieder!
Lieber will ich meine ärmliche Nahrung
in Frieden genießen, als hier bei
den ausgesuchtesten Speisen schwelgen
und stets für mein Leben fürchten müssen."
Genügsamkeit und Zufriedenheit
macht glücklicher
als Reichtum und Überfluß unter großen Sorgen.