Glück der Entfernung


Trink′, o Jüngling! heil′ges Glücke

Taglang aus der Liebsten Blicke,

Abends gaukl′ ihr Bild dich ein.

Kein Verliebter hab es besser;

Doch das Glück bleibt immer größer,

Fern von der Geliebten sein.

 

 

Ew′ge Kräfte, Zeit und Ferne,

Heimlich wie die Kraft der Sterne,

Wiegen dieses Blut zur Ruh′.

Mein Gefühl wird stets erweichter;

Doch mein Herz wird täglich leichter

Und mein Glück nimmt immer zu.

 

Nirgends kann ich sie vergessen,

Und doch kann ich ruhig essen,

Heiter ist mein Geist und frei;

Und unmerkliche Betörung

Macht die Liebe zur Verehrung,

Die Begier zur Schwärmerei.

 

Aufgezogen durch die Sonne,

Schwimmt im Hauch äther′scher Wonne

So das leichtste Wölkchen nie

Wie mein Herz in Ruh′ und Freude.

Frei von Furcht, zu groß zum Neide,

Lieb′ ich, ewig lieb′ ich sie!



(* 1749-08-28, † 1832-03-22)



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